Wert des Zusammenseins
Philipp Karau im Gespräch mit André Mumot
Die Performance-Gruppe SKART lädt am Stadttheater Gießen zu einem Schreckenstrip ein. Ihr Stück heißt „House of German Angst“. Dabei geht es nicht nur um den sorgenvollen Blick der Deutschen in die Zukunft, verspricht der Performer Philipp Karau.
Es ist ein international bekannter Begriff: die „German Angst“, die deutsche Angst. Man sagt uns nach, eine besonders besorgte Nation zu sein. Ist das ein Klischee? Oder tatsächlich so?
Was bedeutet das für ein Theater, das sein Publikum jetzt wieder in geschlossene Räume einladen möchte? Die Performancegruppe SKART nimmt sich nun dieses Themas in einem Doppelpassprojekt mit dem Stadttheater Gießen an. „House of German Angst“ heißt der Abend, der am 16. September Premiere feiert.
Der Performer Philipp Karau, der die Gruppe zusammen mit seinem Kollegen Mark Schröppel ins Leben gerufen hat, erklärt was die Abkürzung SKART bedeutet: „Schröppel Karau Art Repetition Technologies.“ Ein ironischer Bezug zu großen Firmennamen und zugleich ein Verweis auf das Skart-Kabel, das in technisch komplexen Produktionen natürlich eine große Rolle spielt.
Die Arbeit an ihrem aktuellen Projekt reicht dabei schon eine Weile zurück. „Das Interesse an dem Thema ist schon vor einigen Jahren entstanden“, wie Karau berichtet, „als noch die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 stark nachwirkte“.
Das Aufkommen populistischer Strömungen, wie die Pegida-Bewegung, habe ebenfalls starken Einfluss gehabt. „Von daher war uns das in der Zeit recht präsent. Wir haben uns dann überlegt: Wie können wir das in einen pointierten Ausgangspunkt bekommen. Da war es naheliegend, als Deutsche, die hier in diesem Land leben, das mit dem Schlagwort ‚German Angst‘ zu verbinden.“
Angst, das hat ihre Recherche ergeben, ist keineswegs auf unser Land beschränkt. Es gebe aber doch etwas Typisches: „Vielleicht ein sorgenvoller Blick in die Zukunft oder in einer gewissen Art Bedenkenträger zu sein.“ In der Coronazeit habe die Angst aber auch ihre positiven und konstruktiven Seiten gezeigt, wie Karau einräumt:
„Ein Stück weit kann man schon wahrnehmen, dass das vielleicht die Solidargemeinschaft gestärkt hat oder man sich in einer gewissen Weise auch für das Miteinander sensibilisiert hat, darauf, auch auf andere Menschen zu achten. In dem Moment, wo man auch ganz bewusst den direkten Kontakt zu anderen meidet, wird einem vermutlich auch der Wert von sozialen Interaktionen und vom Zusammensein noch mal ganz anders klar.“
In der Aufführung erwartet das Publikum eine museale Situation und ein Raum voller Performerinnen und Performer – halb verletzliche Hautwesen in Latexmasken, halb beängstigende Zombies. Die Gruppe habe bald festgestellt, „dass es für uns nicht infrage kommt, diverse Ängste auszustellen, zu verwerten, zu verarbeiten und zu überarbeiten; eben auch Ängste, die jetzt mit Rassismus, mit Überfremdung, mit dem Hass zu tun haben, sondern dass wir einen subjektiven Blick auf das Thema Angst gewählt haben“.
Horrortrip im »House of German Angst«
Was ist Angst? Und welches konstruktive Potenzial hat sie? Darum geht es in »House of German Angst«. Die Performance der Gruppe SKART ist an vier Abenden auf der taT-Studiobühne zu sehen.
Angst hat viele Gesichter. Sie kann lähmen und antreiben, kann durch Erlebnisse ausgelöst werden, aber in ihrem Ursprung auch diffus bleiben. Und dann gibt es noch die sprichwörtliche Angst der Deutschen: vor dem Fremden oder der Zukunft im Allgemeinen. Die Performancegruppe SKART spürt dem an vier Abenden in der taT-Studiobühne nach - in der für ihre Arbeit typischen Ästhetik und mit einer am Ende doch eher banalen Erkenntnis, wie man sich aus dem »House of German Angst« befreien kann.
Die Figuren bleiben in ihren farblich an Fleischwurst aus dem Discounter erinnernden Latexanzügen gesichtslos. Augen- und Mundloch, mehr braucht es nicht, um die Schauspieler Paula Schrötter und Pascal Thomas die folgenden 60 Minuten überleben zu lassen - im von Sandra Li Maennel Saavedra gestalteten Bühnenbild mit zwei großen Glaskästen links und einem schwarz-weißen Vorhang hinten. Denn so wie die Performer Janna Pinsker, die fast durchgängig als überdimensionaler Angsthase mit Panzerband an der Rückwand festgeklebt ist, Mark Schröppel, der auf der Suche nach Grenzerfahrungen in einem vakuumierten Würfel nur durch ein Röhrchen Luft bekommt, oder Ossian Hain, der sich als eine Mischung aus gruseligem Strohbär und Riesenbazillus aus einem schwarzen Bällchenbad gleiten lässt, durchleben sie unterschiedliche Formen der Angst: Platzangst, Angst vorm Ersticken, vor Krankheiten, vor dem Alleinsein oder großen Menschenmassen.
Diese Angst kann auch schon mal in hilflose Wut umschlagen, wenn etwa Paula Schrötter auf einen Holzbalken eindrischt. Zuvor hat sie minutenlang in betont ruhigem Singsang erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man erwacht und spürt, dass etwas Bedrohliches im Haus ist und immer näher kommt. Da bekommt es auch der Zuschauer ein wenig mit der Angst zu tun, ob es in der Folge mit diesem monotonen, fast gefühllos wirkenden Rezitieren weiter geht. Doch dem ist natürlich nicht so, denn SKART sind bekannt für starke Bilder und überraschende Wendungen und begleiten die Zuschauer durchaus faszinierend auf dem assoziationsreichen Horrortrip, der allerdings greifbare Ängste aus dem Jahr 2020 zu Pandemie, Wirtschaft oder Politik eher außen vor lässt.
Beschwerliche Katharsis
Doch neben den ganz persönlichen Angstszenarien, die zu hämmernden Beats und mit Windmaschine zelebriert werden, geht es natürlich auch um das Stereotyp der in Pandemie-Zeiten gar nicht mehr so typisch deutschen »German Angst«, die sich in Hamsterkäufen ausdrücken kann, aber auch in Unbehagen im Umgang mit Flüchtlingen. Stimmen aus dem Off sprechen Sätze, in denen von für sie irritierenden Begegnungen mit Fremden die Rede ist.
Doch wo Angst ist, braucht es auch eine Lösung. Janna Pinsker schält sich am Ende, in nicht nur für sie quälend langen Minuten, aus ihrem Panzerband-Kokon, der sie wie in einer Kreuzigungsszene fixiert hatte. Zentimeter für Zentimeter löst sie das Band und entkommt ihren Fesseln. Wir müssen uns unserer Angst stellen und uns aus eigener Kraft von ihr lösen.
Ein Alptraum ohne Schlaf
Theaterperformance der Gruppe Skart widmet sich auf der taT-Studiobühne einem vermeintlich besonders deutschen Gefühl
Die häufigsten deutschen Ängste im Jahr 2020: Trump und seine Folgen, steigende Lebenshaltungskosten, Einbruch der Wirtschaft – in dieser Reihenfolge. Die Angst, an Corona zu erkranken, liegt abgeschlagen auf Platz 17, so trug es eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Langzeitstudie zusammen. Alles eher ein Ausdruck von Reflexion statt von Affekten, ließe sich da folgern. Das „House of German Angst“ hingegen bietet keine Räume für solch konkrete Ängste. Stattdessen versucht das Gießener Theaterkollektiv Skart, mit seiner neuen Produktion zum existenziellen Kern dieses Gefühls durchzudringen. Am Donnerstagabend feierte die assoziative Performance ihre Uraufführung auf der taT-Studiobühne, die Darstellern wie Zuschauern einiges abverlangte.
Die Ängste, die hier verhandelt werden, haben tatsächlich nichts mit Zeitphänomenen wie einem irrlichternden US-Präsidenten, einem sich weltweit verbreitenden Virus oder auch nur einem in den englischen Sprachgebrauch eingegangenen deutschen Phänomen zu tun. Was die beiden Theatermacher Mark Schröppel und Philipp Karau interessiert, sind vielmehr die Tiefenschichten der allgemein menschlichen Psyche, die sie über lose aneinandergereihte Bilder, Klänge und Texte freilegen. Los geht das mit einer Situation, die entfernt an Kafkas in einen Käfer verwandelten Gregor Samsa erinnert. Ein Erzähler (Kind?) liegt nachts im Bett und lauscht, wie zwei Menschen (Eltern?) die Treppen hinaufsteigen und sich dabei langsam, leise und vorsichtig immer weiter seinem Zimmer nähern. Paula Schrötter spricht diesen Monolog, der detailliert und wie in Zeitlupe physische Körperreaktionen beschreibt, die durch ein aufsteigendes Bedrohtheitsgefühl ausgelöst werden. Dabei steckt die Schauspielerin in einem fleischfarbenen Ganzkörperanzug, der nicht nur ihr Gesicht zur Fratze macht, sondern auch die Konturen ihrer Gestalt ins Irreale verzerrt.
Ganz ähnlich die Haut, in der Pascal Thomas steckt. Auch hier ein Hinweis auf die Nacktheit und Verletzlichkeit des Fleisches, während der Schauspieler von der sich steigernden Furcht eines bedrohlichen Verfolgers erzählt. Auf der zunächst weitgehend leeren Bühne wirken die beiden Darsteller in ihren grotesken Aufmachungen dabei wie einem Kinoschocker entsprungen. So erzählen sie auf mittelbare Weise von einem das Gehirn beherrschenden Gefühl, das entsteht, wenn man „aus einem Alptraum erwacht und feststellt, dass man gar nicht geschlafen hat“, wie Thomas feststellt.
Doch die Skart-Autoren ziehen die Schraube im Laufe der 60-minütigen Spielzeit sogar noch weiter an. Mark Schröppel selbst steckt über die gesamte Stunde in einer Kiste verborgen fest, die nur sein grotesk verzerrtes Gesicht erkennen lässt. Ein Bild, das an die weiße Maske aus der Horrorfilmreihe „Scream“ erinnert. Und Ossian Hain, von einer Art Fell umhüllt wie ein hilflos tapsiges Tier, lässt irgendwann eine Lawine schwarzer Kugeln aus einer Glasvitrine in den Bühnenraum kippen, die er anschließend mit einem mächtigen Gebläse zwischen die Publikumsbeine pustet. Emotionen, die in harte, dunkle Bilder übersetzt werden. Ossian präzisiert anschließend in einem weiteren Monolog, was das von solcherlei Symbolik umkreiste Gefühl im Kern ausmacht: „Wir haben Angst davor, uns dem Fremden auszusetzen.“ Womit sich natürlich doch noch ein Bogen zu aktuellen Dramen aller Art schlagen ließe.
Doch Konkretes bleibt in dieser Performance weitgehend außen vor. Erst kurz vor Ende des schaurigen Spiels lassen die Theatermacher eine Toncollage von Band abspielen, in denen verschiedene Menschen wie ein antiker Chor über ihre eigenen Ängste Auskunft geben. Ansonsten setzt dieses neue Skart-Projekt auf verschiedene mehr oder weniger schlüssige Versatzstücke, die Theatergänger schon aus früheren Produktionen kennen. Dunkle elektronische Soundschnipsel, Folien, mit denen Gesichter und Körper entstellt werden, stummes Körperspiel. Eins der eindrücklichsten dieser Bilder gelingt ganz am Ende: Da befreit sich die unter einem riesigen (Angst-)Hasenkopf von den Füßen bis zum Hals mit Gaffer-Tape an die Bühnenrückseite festgeklebte Janna Pinsker unter allergrößten Anstrengungen minutenlang von dem Material, das sie dort so lange festhielt. Wohl lange nicht mehr ist ein Darsteller im Stadttheater körperlich so gefordert gewesen. Doch immerhin: Das fesselnde Band, die fesselnde Bedrohung kann sie schließlich hinter sich lassen.
Übrigens: Eine Angst ganz anderer Art müssen Besucher vor der Idee haben, Theateraufführungen auch künftig auf lehnenlosen Sitzhockern beiwohnen zu müssen. Mehr als eine Stunde möchte man wahrlich nicht darauf verbringen. Zumindest diese Furcht ließe sich dem Publikum leicht nehmen. Indem es künftig wieder auf Stühlen Platz nehmen darf.
Kampfansage an den Mann
Provokant, drastisch, abstoßend: Performance in taT-Studiobühne widmet sich Valerie Solanas’ berüchtigtem „Scum-Manifest“
An Valerie Solanas’ „Scum-Manifest“ scheiden sich die Geister. Die einen bescheinigten der US-Amerikanerin, mit ihrem literarischen Wutausbruch gegen die Spezies Mann eine brillante Parodie verfasst zu haben. Die anderen begriffen das Werk als Kampfschrift einer ebenso fanatisierten wie verwirrten Feministin. Nun nimmt das in Gießen gegründete Theaterkollektiv „Skart“ diesen Text aus dem Jahr 1967 zum Anlass für eine drastische Performance – an der sich ebenfalls die Geister scheiden dürften. Am Donnerstagabend feierte „Happiness is a warm Gun“ Premiere auf der taT-Studiobühne.
Warnung am Eingang
Was das Publikum darin erwartet, lässt sich schon anhand der Handzettel erahnen, die vor Beginn am Eingang verteilt werden und vor grell blitzendem Stroboskoplicht sowie „gegebenenfalls verstörendem Video-Material“ warnen. Drinnen geht es dann zunächst eher harmlos zu, wenn die beiden in weiblicher Abendgarderobe und riesigen Katzenmasken steckenden Darsteller Paula Schrötter und Pascal Thomas beginnen, den Bühnenboden mit Dutzenden Frauenzeitschriften zu bedecken.
Doch diese von viel Musik untermalte Performance funktioniert wie eine Fahrt in der Achterbahn: Erst werden die Zuschauer langsam auf den Scheitelpunkt gezogen – um dann brachial in die Tiefe gestoßen zu werden. Schwindelgefühle sind dabei bewusst einkalkuliert. Hier funktioniert es zunächst über einige von Tonband laufende Texteinspielungen, die sich mit der Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft befassen: höflich, bescheiden und unterwürfig hat sie demnach zu sein. Bebildert wird das von den beiden sanft schnurrenden Miezekatzen auf hochhackigen Schuhen.
Doch dann fallen irgendwann die Masken und in einer ersten drastischen Szene wickelt der Mann die Frau mit Frischhaltefolie auf einen Holzbalken, um sie anschließend genüsslich auf einem Spieß zu drehen. Um genau solche lustvoll Gewalt ausübenden Exemplare des „starken Geschlechts“ ging es Valerie Solanas (1936 –1988), die heute vor allem für ihr Attentat auf Pop-Art-Genie Andy Warhol bekannt ist, von dem sie sich verraten fühlte, und den sie im Jahr 1968 mit einem Pistolenschuss schwer verletzte. Textzeilen ihres wie ein ausgestreckter Mittelfinger wirkenden Manifests (Scum – Abschaum) werden dem Publikum im taT entgegengeschleudert. Der Mann muss kompensieren, dass er keine Frau ist. Der Mann ist eine biologische Katastrophe. Der Mann muss ausgerottet werden.
Doch bei solch unzweideutigen Sätzen allein belassen es die beiden jungen „Skart“-Autoren Philipp Karau und Mark Schröppel in ihrer Inszenierung nicht. Sie zeigen auch Videobilder, die selbst hartgesottene Zuschauer schlucken lassen. Zunächst sind es abstoßende pornografische Szenen, zahlreiche gelbstichige Bildschnipsel, die einen ausschließlich männlichen Blick transportieren, der Sex offenbar vor allem als Form körperlicher Machtausübung versteht. Als Antwort darauf ist anschließend ein Experimentalfilm aus dem Jahr 1992 zu sehen, in dem sich eine vergnügte junge US-Amerikanerin von zwei weiteren Frauen die Scheide zunähen lässt – detailliert und minutenlang. Das ist alles nur schwer erträglich, auch wenn im anfangs ausgeteilten Handzettel vorweggenommen wird, dass es sich dabei „nicht um eine Provokation, sondern um eine inhaltliche Aussage über den gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität und Körpernormen“ handele.
Diese auf eine extreme Schockwirkung zielende – und tatsächlich viel zu lange – visuelle Darstellung des Geschlechterkampfes ist das eine, was dieses Stück diskutabel werden lässt. Das andere ist der Verzicht auf jegliche Zwischentöne. Kein Satz endet ohne Ausrufezeichen, keine Botschaft bietet Platz für Diskussionen oder gar eine Gegenthese. Hier ist stattdessen ein extremer Standpunkt zu besichtigen, nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Wer sich ihm aussetzen mag, bekommt das körperlich enorm fordernde Spiel der beiden Stadttheater-Schauspieler Paula Schrötter und Pascal Thomas zu sehen, die sich den schweißtreibenden dramaturgischen Herausforderungen mit viel Spielfreunde annehmen. Und davon gibt es einige: Gewichte stemmen, akrobatisches Balancieren und groteske Latexkostüme etwa, in denen sie lautstark Solanas’ Scum-Parolen formulieren. Aber dem Duo werden auch einige leise Momente gewährt. Und wenn sie am Ende Anzeigen aus den zu Beginn ausgelegten Hochglanzmagazinen mit sexualisierten Frauenkörpern durch den Reißwolf laufen lassen, dann ist das nicht nur ein Verweis auf heutige Geschlechterrollen – man ist auch ganz auf ihrer Seite.
Der Mann als Gendefekt
Verstörendes Video-Material, Pornofilme, Fetischkostüme, radikalfeministische Parolen - »Happiness is a warm gun« ist in der taT-Studiobühne nichts für zarte Gemüter. Aber kein Wunder: Die Vorlage der SKART-Uraufführung ist Valerie Solanas legendäres »SCUM«-Manifesto.
Eines vorweg: Wer nicht zusehen will, wenn einer Frau die Vagina zugenäht wird, oder sich bei Videoeinspielungen aus Schmuddel-Pornos unwohl fühlt, der sollte »Happiness is a warm gun« in der taT-Studiobühne besser nicht anschauen. Denn die einst am Theaterwissenschaftlichen Institut der JLU gegründete Performancegruppe SKART setzt dort den radikalfeministischen Wutausbruch »SCUM«-Manifesto von Valerie Solanas mit drastischen Bildern in Szene.
Solanas ist als die Frau, die 1968 auf Andy Warhol schoss, bekannt geworden: Ihr von Männerhass und schwarzhumoriger Polemik, aber auch messerscharfer Analyse patriarchaler Strukturen strotzender Text ist Pflichtlektüre der Feministinnen. Während Warhol durch das Attentat endgültig zur Berühmtheit wurde, landete Solanas im gesellschaftlichen Abseits, in der Psychiatrie und der Obdachlosigkeit.
»SCUM«-Manifesto liefert schon allein vor diesem Hintergrund ordentlich Sprengstoff in der Arena des Geschlechterkampfes. SKART, das im Kern aus den beiden Männern Mark Schröppel und Philipp Karau besteht (auch das nicht ohne Brisanz für die Inszenierung), konfrontiert Textpassagen aus »SCUM« mit einer Bilderwelt voller Symbolik, die allerdings den Vorwurf von Effekthascherei nicht ganz von der Hand weisen kann. Der Grausamkeit der Frauenrealität und der Radikalität der Solanas-Thesen setzt SKART mit dieser herausfordernden Provokation noch einen drauf. Doch dabei geraten die durchaus berechtigt zu stellenden Fragen ein wenig ins Hintertreffen: Bestehen die alten Machtstrukturen auch heute noch? Wie zeitlos ist Solanas Polemik? Gibt es überhaupt einen Ausweg aus der Misere? Diese Überlegungen stehen im Raum, eine Antwort bleibt aus.
Paula Schrötter und Pascal Thomas, anfangs mit riesigen Katzenköpfen und auf einem Meer von im Grunde frauenverachtenden Modemagazinen stehend, imitieren die künstlich unterfordert gehaltenen Hausfrauchen amerikanischer Vorstädte in den Sechzigern. Kinder, Küche, Kirche bestimmen ihren Alltag - und sie machen das Spiel mit. Auch sie trifft Solanas Zorn, denn sie argumentiert nicht nur gegen Männer als angeblichen »Gendefekt« und biologische Katastrophe, sondern auch gegen jene Weibchen, die dieses patriarchale System unterstützen. Kein Wunder, dass »Daddy’s Tochter« eines Tages in Frischhaltefolie gewickelt wie ein Spanferkel über dem Lagerfeuer brutzelt.
Aber auch die sexuelle Befreiung, so Solanas These, hat durch die Sexualisierung der Gesellschaft Frauen nur in neue Machtstrukturen verstrickt. SKART zeigen das mit auf eine weiße Hüpfburg projizierten Porno- sequenzen, in denen die Frau als Objekt männlicher Triebhaftigkeit herhalten muss. Quälend lange Minuten lang läuft zudem eine Videoeinspielung aus dem Experimentalfilm »The sewing circle« von 1992, in der das Publikum, teils in Großaufnahme, zusieht, wie sich eine Frau ihre Vagina zunähen lässt. Eine Art der radikalen Verweigerung, aber auch ein Akt der Selbstverstümmelung, der sprachlos macht, wie der wortlose Auftritt der Frauen des Chors Avanti Dilettanti im Anschluss nahelegt.
Und dann steigert sich die Uraufführung in ein furioses Finale. Schrötter und Thomas tragen Fetischganzkörperkostüme aus rotem und schwarzem Lack, schreien vom Dach der Hüpfburg - leider im Tumult nur schwer verständliche - »SCUM«-Parolen: Der Mann sei ein »Gendefekt« und wisse, dass er im Grunde ein »wertloser Misthaufen« sei. Männer müssten mit Vergasen vernichtet werden und Frauen endlich an die Macht kommen. Alles ist im Ansatz zwar nachvollziehbar, aber in der von Solanas propagierten Extrem-Konsequenz nahezu unerträglich, so wie auch die Autorin mit ihren Schüssen auf Warhol definitiv zu weit gegangen ist. Frauen sind eben ganz gewiss nicht die besseren Menschen. Männer aber auch nicht.
»Happiness is a warm gun« ist der Theaterabend in Anspielung auf einen Beatles-Song aus dem Jahr 1968, aber auch auf Solanas Warhol-Attentat im gleichen Jahr, betitelt. Und so wie eine »warm gun« garantiert nicht der Schlüssel für eine bessere Welt sein kann, so ist auch Solanas Abschaum, das ist nämlich die Übersetzung für »SCUM« (alternativ: Akronym für »Society for Cutting Up Men«, zu deutsch Gesellschaft zur Zerstückelung von Männern), kein Allheilmittel.
Das Publikum - eine ungewöhnliche Mischung aus Zeitzeugen der 68er-Revolte und jungen Theaterwissenschaftlern - ist nach 75 durchaus verstörenden Minuten offensichtlich begeistert und irritiert zugleich. Für SKART gibt es viel Applaus und noch mehr für die beiden Schauspielenden, die den Parforceritt mit Würde gemeistert haben.
Feministischer Cyborg
Es hätte keines Beweises bedurft, dass E.T.A Hoffmanns erstmals 1819 erschienene Erzählung „Der Sandmann“ weit mehr ist als gut abgehangener Prüfungsstoff für Abiturienten. Doch die Musik-Video-Schauspiel-Performance, die nun vom Duo SKART (Philipp Karau und Mark Schröppel) in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt uraufgeführt wurde, ist so atemberaubend gegenwärtig dass man sich in manchen schmerzhaften Momenten nach einer der vielen braven Schüleraufführungen sehnt. SKART bringen den Zuschauer dabei immer wieder an Grenzen, durchweg schön anzusehen und anzuhören sind die 70 Minuten nicht.
Anfangs konnte man noch meinen Anja Gläser, Karin Klein und Johanna Serenety Miller sprechen in chronologischer Ordnung den Originaltext. Da berichtet zunächst der Student Nathanael seiner Verlobten Clara in einem Brief von schaurigen Kindheitserlebnissen in mit dem vorgeblichen Sandmann, da antwortet die Rationalistin mit guten Ratschlägen und Liebesbekundungen. Im Hintergrund freilich tut sich da schon höchst Befremdliches. Eine in ein aufgeblasenes Gummikostüm gezwängte Figur tanz und kullert über die Bühne, mit einem Laubbläser werden Plastikplanen weggeblasen und enthüllen halb naturwissenschaftliche, halb aus einem Horrorkabinett stammende Bilder von Köpfen und einer Schulbuchdarstellung eines schwangeren Unterleibs. Ausgestopfte Tiere erinnern an ein Naturalienkabinett, aber was hat darin eine Madonnenfigur zu suchen?
Ein lebensgroßes Pferd wird hereingeschoben, darauf sitzt eine Frau und seufzt immerfort zum brüllenden Forte der elektronischen Musik den einzigen ihr möglichen Laut „Ach“. Natürlich ist es die Puppe Olimpia, von deren Lebendigkeit einzig Nathanael, in seiner Wahrnehmung spätestens durch den Kauf eines Seerohrs beim dubiosen Wetterglashändler Coppola der Wirklichkeit entrückt, felsenfest überzeugt ist. Als er mit ansehen muss wie Coppola und der nicht minder zwielichtige Professors Spalanzani die Puppe im Streit um die Urheberschaft zerreißen, verfällt er vollends den Wahnsinn und muss ins Irrenhaus. Dies alles wird vorgelesen, an keiner Stelle wird hier am naturalistischen Sinn ein Schauspiel mit Figuren und Dialogen geboten. Der Text wird zerhackt, nach Belieben wiederholt, ab und zu auch mit direkter Ansprache des Publikums in Gegenwartssprache übersetzt.
Doch zum Kern kommt diese von Videoeinspielungen, einem filigranen Glockenspiel-Musikautomaten und immer neuen Geräuschattacken begleitete und unterbrochene Inszenierung erst, nachdem Nathanael sich zu Tode gestürzt hat. Bei Hoffmann gehören dann die letzten Sätze der Erzählung, nicht ohne Ironie dem künftigen Eheglück der herzensguten Clara. Bei SKART aber betreten nun Wesen mit Neonmasken und gigantischen Gummiköpfen die Bühne, als hätte sie ein Science-Fiction-Film ausgespuckt. Sie fordern einen radikalen Perspektivwechsel und preisen das Mensch-Maschine-Mischwesen Olympia als eigentliche Heldin des Stücks, als feministischen Cyborg, der die von Männern bestimmten Gender Zuschreibungen überwindet und neue Spielarten des Eros, des Umgangs mit Geschlecht insgesamt propagiert.
Dieser Pamphlet-Schluss wirkt leider trotz aller Bild- und Klangwucht ein wenig aufgesetzt. Die Stilisierung der Puppe Olympia, die auf sehr genau analysierte Weise ja für den krankfhaften Narzissten Nathanael eine Idealfrau darstellt, als Weiblichkeitmetapher, wurde vorher an keiner Stelle vorbereitet und geriet auch sprachlich - gerade im Vergleich zur Prosa Hoffmanns - ein wenig platt. Dennoch bietet der Abend, bei dem auch die drei Darstellerinnen bis an die Grenze ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit gefordert werden, einen ungemein spannenden, in Zeiten von künstlicher Intelligenz und um sich greifende Automatisierung brennend aktuellen Interpretationsansatz.
Frühkritik von HR 22