Ein Gespräch mit SKART / MASTERS OF THE UNIVERSE
Gespräch mit
SKART / MASTERS OF THE UNIVERSE
Das altersgemischte Kollektiv SKART / Masters of the Universe hat bisher drei gemeinsame Stücke auf Kampnagel entwickelt – LUCKY STRIKE (2014), SCHLARAFFENLAND (2015) und EXODUS (2016) – eine Trilogie über Glücksversprechen, Überfluss und Leere. Die neue Arbeit TUNIX! hat am 1. November Premiere (siehe S. 12). Anna Teuwen, Dramaturgin auf Kampnagel, kennt die Gruppe seit ihrer Gründung und spricht mit Philipp (34), Mark (34), Charlotte (14), An- ton (13) und Annika (11) nach der ersten Probenwoche über ihre gemeinsame Arbeit, über Arbeit generell, über Flow und Faulsein.
Ihr seid jetzt seit 4 Jahren die Gruppe Masters of the Universe – was überzeugt Euch an der Zusammenarbeit?
Charlotte: Wir sind eine altersgemischte Theatergruppe. Wir machen kein Kindertheater, keine Erwachsenenunterhaltung, sondern Glückstheater für alle – wie es so schön auf unseren Flyern steht. Anton: Eine Sache, die bei uns besonders ist, ist, dass wir keine Stücke nachspielen, sondern uns etwas ganz Neues ausdenken. Und nicht Philipp und Mark denken sich das aus und wir müssen das dann machen, sondern wir denken uns alles zusammen aus.
Mark: Charlotte, Anton und Annika sind auf der Neuen Schule in Hamburg, einer Reformschule, in der es möglich ist, dass die Kinder acht Wochen am Probenprozess teilnehmen und jeden Tag auf Kampnagel sind. Das sind professionelle Bedingungen.
Könnt Ihr kurz erzählen, was das Besondere an der Neuen Schule ist?
Annika: Die Neue Schule ist eine demokratische Schule. Wir sind zu fast nichts verpflichtet – nur dazu, uns an Regeln zu halten. Aber die Regeln bestimmen wir selbst. Wir stimmen über jeden ab, der an unserer Schule etwas machen will. Dabei ist uns wichtig, dass der oder diejenige verstanden hat, wie unsere Schule funktioniert. Und natürlich, dass wir das Projekt interessant finden. Philipp: Die Neue Schule ist eine sehr progressive Schule, in der es viel um Eigenverantwortung geht und darum, zu reflektieren. Für uns wart ihr Expert*innen, die sich mit dem auskennen, was wir vorhatten. Am Anfang war noch alles offen, wir haben viel Neues ausprobiert. Mittlerweile hat sich viel schon gefestigt, wir haben bewährte Abläufe, einen gemeinsamen Flow.
Flow klingt gut – könnt ihr mal Euren Flow beschreiben?
Mark: Flow ist, wenn es läuft wie beim Staffellauf, man gibt immer wieder den Stab weiter, und dann katapultiert man sich gegenseitig in die Höhe, es sprüht und schlägt Funken.
Anton: Wir haben einen Flow, wenn wir Texte entwickeln, viel reden und es gut vorangeht.
Charlotte: Jeder wirft was rein, ein paar Fetzen werden mitgeschrieben und dann ist der Text zwar noch nicht ganz fertig, aber meistens schon ganz gut. Ich finde, das sind immer die besten Texte, die so im Flow entstehen.
Was ist die Vorbereitung für die Textarbeit? Wie fangt Ihr an?
Annika: Wir haben uns viele O-Töne angehört und Aus- schnitte von Filmen angesehen. Dann sammeln wir, was uns dazu einfällt und spinnen das weiter. Mark und Philipp bringen meistens Dokumentarfilme mit, weil sie sich dafür interessieren. Charlotte interessiert sich eher für Musikvideos, und wenn sie in der Probenzeit etwas sieht, was zum Stück passt, bringt sie es mit und wir schauen es gemeinsam an. So ist es bei jedem von uns.
Anton: Ich habe bei allen Stücken bisher die Musik gemacht. Das macht mir Spaß. Diesmal bauen wir eine Musik-Maschine, mit der ich komponiere.
Nervt Euch manchmal etwas an der Zusammenarbeit zwischen den Generationen?
Philipp: Früher haben uns Ältere oft genervt, wenn das große Ganze aus dem Fokus geraten ist, denn dann müssen wir die Orga-Typen sein, die daran erinnern, was wir vorhaben. Ich empfinde es als positiv, dass bei euch Jüngeren das Gefühl für die Stimmung, die Verantwortung immer weiter wächst.
Mark: Jetzt, wo sich der Prozess immer besser selbst organisiert, wird es immer angenehmer und schöner.
Charlotte: Für mich sind wir alle eigentlich auf einer ähnlichen Ebene. Mark und Philipp sind nicht solche Erwachsene, zu denen ich netter sein muss, als ich normalerweise wäre. Ich bin mit älteren und mit jüngeren Leuten befreundet. Wenn mich etwas nervt, dann Situationen, in denen ich zu Erwachsenen einen Unter- schied machen muss.
Mark und Philipp, wie seid Ihr eigentlich auf die Idee gekommen, mit Kindern zusammenzuarbeiten?
Philipp: Auf Kampnagel haben wir 2012 VON EINEM, DER AUSZOG, DAS FÜRCH- TEN ZU LERNEN für junges Publikum produziert. Von Anfang an war uns klar, dass wir etwas mit erzählen wollen, was auch für Ältere interessant ist. Wir wollten immer ein altersgemischtes Publikum ansprechen. Daraus ist dann die Idee entstanden, die Stücke direkt mit Jüngeren gemeinsam zu produzieren, da kann man sich dann gleichberechtigter und glaub- würdiger damit beschäftigen, was Erwachsene und Kinder jeweils interessiert – und ob es da überhaupt so große Unterschiede gibt, denn daran glauben wir ja mittlerweile gar nicht mehr. Das, was uns im sogenannten Erwachsenentheater gut gefällt, das kommt meist auch bei den Jüngeren gut an.
Meint Ihr, Kinder und Erwachsene sollten generell mehr zusammen machen?
Charlotte: Solange man sich versteht, soll doch jeder etwas zusammen machen, der will!
Mark: Letztendlich ist es doch so, dass immer gute Sachen passieren, wenn Menschen unterschiedlichster Geschlechter, Herkünfte, Stärken und Interessen angstfrei gemeinsam einen kommunikativen Raum aufmachen. Und zwischen Kindern und Erwachsenen passiert so etwas noch immer viel zu selten – in welchen Bereichen auch immer. Die Menschen unterschätzen sich gegenseitig einfach zu sehr. Philipp: In dieser Hinsicht kann man auch die Institution Schule und die Erwerbsarbeit nochmal überdenken, die ja letztlich verunmöglichen, dass der Alltag in einem in- tergenerationellen Austausch stattfinden kann – schon allein zum Leidwesen von Familien, die nur wenig Freizeit miteinander verbringen können. Wäre in der Wirtschaft noch der gleiche Produk- tivitätsdrang aufrechtzuerhalten, wenn Werte, die den Jüngeren wichtig sind, mehr in die Gesellschaft hinein wirken würden? Umgekehrt halten die Strategien des gemeinsamen Spielens und Zeitverbringens wieder Einzug in die Unternehmenskultur, weil erforscht ist, dass sie zu mehr Leistung und kreativem Output führen. Aberwitzig eigentlich.
TUNIX handelt von Faulheit, wie seit ihr darauf gekommen?
Annika: Das neue Stück hat etwas mit dem Deathbox-Text aus EXODUS, unserem letzten Stück, zu tun. Mit der Frage, was eigentlich passiert, wenn man nichts tut ... Die Bäckerinnen-Szene aus EXODUS setzen wir auch fort.
Charlotte: Wir beschäftigen uns nicht nur mit Nichtstun, sondern auch viel mit Arbeit, warum die Menschen arbeiten, was passiert, wenn man zu viel arbeitet ...
Anton: Über Nichtstun wissen wir Jüngeren viel. Mit dem Arbeiten ist es schwerer, weil wir ja noch nicht arbeiten. Philipp: Bei unseren Publikumsgesprächen ist manch- mal die Frage aufgekommen, was eigentlich Arbeit ist. Aus einer Perspektive – der der Älteren meistens – könnte man sagen: Das, was wir hier machen, ist eine Form von Arbeit für die Jüngeren. Wochenlang täglich Pro- benarbeit. Aus der jüngeren Perspektive wird eher gefragt: Was empfinde ich eigentlich als Arbeit – ist das etwas Spielerisches, das mit Begeisterung im Flow entsteht, oder ist es etwas, mit dem ich Anstrengung verbinde? Ist es eine Last oder eine Quahl?
Charlotte: Für mich ist der Unterschied, dass wir Jüngeren kein Geld dafür be- kommen. Das unterscheidet unser Projekt für mich vom Arbeiten.
Philipp: Ich hatte schon oft Gespräche über das Geld- verdienen. Wenn ich die Möglichkeit hätte, das hier zu tun, ohne Geld damit verdienen zu müssen, ich würde es sofort tun. Zeitraum und Ziel des Projekts wären dann nicht mehr an Geldwerte geknüpft. Anton, Du hast schon öfter überlegt, ob Du beim nächsten Stück wieder dabei sein, oder lieber mal eine Pause machen willst. Ich habe mich gefragt, wie es Deine Entscheidung beeinflussen würde, wenn Du Geld für Deine Beteiligung bekommen würdest. Ich denke, dass es ein Vorteil für die Jüngeren ist, dass sie von Geldfragen unbeschwert entscheiden können.
Mark: Was ich wahrnehme ist, dass wir alle bei unseren Proben versuchen, möglichst wenig Arbeit zu haben. Ich habe diese erste Probenwoche als viel weniger arbeitsintensiv wahrgenommen als früher. Es ist wirklich interessant, dass wir uns vom Arbeiten wegbewegen und stattdessen eher zu einem Gestalten kommen, das uns persönlich Spaß macht.
Bei einem Stück über Nichtstun versucht ihr also, möglichst nicht zu arbeiten?
Mark: Wir haben das wahrscheinlich immer schon versucht – es klappt einfach mittlerweile viel besser.
Über die revolutionären Kräfte des Theaters mit Kindern
Über die revolutionären Kräfte des Theaters mit Kindern
Kampnagel Hamburg stellt Bühnenstücke mit Kindern für erwachsenes Publikum vor
Eine kleine, introvertierte Gemeinschaft mit seltsamen Ritualen in einem dystopischen Setting zwischen Bildschirmflimmern und Steinhaufen und ein illustres Team aus schrillen Einzelgänger-Typen inmitten eines kargen Trümmerfelds nach der Implosion des heilsversprechenden Schlaraffenlandes: Im Frühjahr 2016 waren auf Kampnagel unter dem Stichwort „GenerationISM“ u. a. die Produktionen „Eyes wide open“ der Hamburger Choreografin Barbara Schmidt-Rohr und „Exodus“ der Künstlergruppe SKART/Masters of the Universe zu sehen, zwei Arbeiten, in denen Kinder (auch) vor einem erwachsenen Publikum auftraten. Zwei künstlerische Handschriften, zwei unterschiedliche Konzepte, zwei komplett verschiedene Inszenierungen – aber ein seltsam ähnliches inhaltliches Grundsetting: Nach einem jeweils nicht (weiter) thematisierten apokalyptischen Zwischenfall treffen die Zuschauer auf eine Gemeinschaft von jungen Überlebenden, die sich auf unterschiedliche Weise als solche organisieren – in einer verdichteten Situation absoluter Gegenwärtigkeit, zwischen gescheiterter Vergangenheit und den Gefahren der Zukunft.
Bühnenstücke mit Kindern, die einem erwachsenen Theaterpublikum gegenüberstehen, haben momentan Konjunktur. Fünf solcher Arbeiten, die international Aufsehen erregten, entstanden bei CAMPO im belgischen Gent.2 Allen CAMPO-Werken dieser Reihe ist gemeinsam, dass sie von international renommierten Künstlern aus dem Performance-Bereich entwickelt wurden, die üblicherweise nicht mit Kindern arbeiten, und dass die Werke explizit für ein erwachsenes Publikum bestimmt sind. Anders als gewöhnlich in der Theaterarbeit mit Kindern geht es hier nicht primär um die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Beteiligten, nicht um den sozialen Faktor, nicht um kulturelle Bildung. Es geht in erster Linie um die künstlerische Qualität der Arbeit – die Kinder auf der Bühne sind performativer Trumpf. Was hat es auf sich mit der kindlichen Präsenz?
....
Performancetheater im altersgemischten Kollektiv
Das altersgemischte Ensemble SKART/Masters of the Universe mit Mitgliedern zwischen neun und 33 Jahren arbeitet in leicht veränderter Konstellation seit drei Jahren als Kollektiv zusammen. Mit „Exodus“ zeigt die Gruppe den Abschluss einer Trilogie. Gegründet mit dem Vorsatz „anspruchsvolle Performancekunst für ein generationenübergreifendes Publikum“ zu machen, stehen hier mehrere Ziele im Vordergrund: Performancetheater, das dem professionellen Anspruch erwachsener Zuschauer gerecht wird, das sich aber auch an junges Publikum richtet, sowie ein alternatives Modell (kultureller) Bildung, das sich an dem Prinzip freier Schulen orientiert. Die meisten der beteiligten Kinder besuchen die basisdemokratisch organisierte Neue Schule in Hamburg und sind selbstorganisiertes Arbeiten gewohnt, die Theaterarbeit mit Philipp Karau und Mark Schröppel alias SKART ist Teil des Unterrichts. Die Struktur der Schule erlaubt es, mit den Kindern acht Wochen lang täglich von 10 bis 16 Uhr zu proben – die Performances entstehen also unter professionellen Bedingungen. Über die drei Jahre der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Gastspielen, Publikumsgesprächen und Presseauftritten hat sich eine Teamstruktur mit Aufgabenverteilung ergeben, eine Routine in der Stückentwicklung sowie eine bemerkenswerte eigene Ästhetik. Bei der Zusammenarbeit geht es darum, einerseits den Erfahrungsvorsprung und das Wissen der erwachsenen Künstler zu nutzen, andererseits die Ideen und die performative Kraft der Kinder fruchtbar zu machen; jeder ist auf seine Weise Experte. Die erwachsenen Künstler haben ein Veto-Recht und fungieren als Moderatoren und Leiter des Prozesses, die künstlerische Handschrift von SKART hat den Stil der altersgemischten Gruppe sichtbar geprägt. Dennoch sind alle gleichberechtigter Teil der Gruppe, jede Entscheidung ist für jeden nachvollziehbar, die Wünsche und Einwände jedes Einzelnen werden ernst genommen. Jeder Beteiligte steht vollständig hinter jeder Szene, die auf der Bühne zu sehen ist – das macht sich auch in den Publikumsgesprächen bemerkbar, bei denen selbstverständlich alle mitreden.
„Exodus“ ist ein finsteres Stück. Nachdem es in den vorigen Performances um Glücksversprechen einer materiellen Welt gegangen war und um die Qual des Überflusses, so ist man jetzt am Point of No Return: Die Welt des Zuviel ist implodiert, die letzten Überlebenden bewegen sich in einer Art Vakuum, distanzieren sich vom Publikum und beschäftigen sich mit Gedanken an Tod und Depression. Zu düster und traurig für Kinder zwischen neun und zwölf Jahren, finden einige Erwachsene im Publikum, die oftmals nicht wahrhaben möchten, dass die Texte von den Kindern gemeinsam assoziativ entwickelt wurden. Die typischen Debatten, die die Arbeit des Masters of the Universe-Kollektivs von Zuschauerseite begleiten, handeln von verklärten Bildern, die die Erwachsenen von Kindheit im Kopf haben (möchten), von Unterstellungen und Bevormundungen. Auf der Künstlerseite wird immer wieder an einem Kultur - system gearbeitet, das nicht nach einem hegemonialen Prinzip einen Kanon oktroyiert, sondern das in einem Prozess, der alle Akteure gleichberechtigt beteiligt, immer wieder neu geformt und verhandelt wird – ein Vorgang, der im Kleinen auch Utopie ist für die Entwicklung einer Transkultur für die heterogene Gesellschaft der Zukunft.
Die inhaltliche Setzung beider Produktionen, eine Gruppe von Kindern als Akteure einer zukünftigen Gemeinschaft auftreten zu lassen, scheint symptomatisch zu sein für eine Gegenwart, in der die Erwachsenen sich ratlos vor den gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen, orientierungslos vor den Trümmern einer Gemeinschaft, die nur noch Illusion scheint. Es bleibt, der jungen Generation – den Kindern, die in diese Gesellschaft hineinwachsen – das Projekt Menschheit zu überantworten und selbst zurückzutreten. Beide Künstlergruppen arbeiten auch über die inhaltliche Setzung hinaus an der Aufhebung bzw. Umkehrung der Hierarchien zwischen Jung und Alt, sei es formal in der Inszenierung des Aufeinandertreffens von erwachsenem Publikums mit den jungen Performern bei Barbara Schmidt-Rohrs „Eyes wide open“ oder strukturell in der kollektiven Arbeitsweise der Masters of the Universe. Es gibt – so heißt es bei Walter Benjamin – „keinen möglichen Standort für überlegenes Publikum“3. Jeweils auf eigene Weise entsteht hier der Raum für etwas, das man mit Benjamin „das geheime Signal des Kommenden, das aus der kindlichen Geste spricht“4 nennen könnte: revolutionäres Potential.
Lest dem Schlaraffenland die Leviten
Lest dem Schlaraffenland die Leviten
Mit Kindern neues Theater schaffen: SKART zeigt „Exodus“ am Mousonturm
„Wir verlassen die Erde als enttäuschte Herde.“ Ganz so enttäuscht sehen sie nicht aus, während der gleichnamige Song der Goldenen Zitronen wieder und wieder läuft Eher wie ein fröhlich winkender Karnevalsverein der seinen Wagen Richtung Ausgang lenkt, vier kürzere und zwei längere Passagiere an Bord. Der Wagen ein Schiff und an Bord die Kinder, die uns eine Stunde lang die Leviten gelesen haben: So endet „Exodus“ der - vorerst - letzte Teil eines Projekts mit dem die in Gießen ausgebildeten Performancekünstler Philipp Karau und Mark Schröppel alias SKART sich viel vorgenommen haben.
Mit „Masters of the Universe“ hat das Künstlerduo seit 2014 an einer neuen Form des Theaters mit Kindern gearbeitet. Ein neues Theater, für das die Erwachsenen gemeinsam mit den Kindern Ideen entwickeln, Text, Regie, Bilder und schließlich die Aufführung schaffen - gerichtet an ein Publikum, das in ein ganz normales Theater geht, egal welches Alter es hat. Mit „All in“ hat der Frankfurter Mousonturm begonnen, gezielt für alle Zuschauer offene Kunst zu zeigen, auch die „Masters of the Universe“ waren schon da mit dem ersten Stück der Trilogie „Lucky Strike“.
Schon damals ging es um Konsumkritik und die Frage danach, wie wir leben wollen, in assoziativen, oft schrägen, anarchistischen Szenen. Mit „Exodus“ entwerfen SKART und Kinder der Neuen Schule Hamburg sowie der Freien Schule Frankfurt durchaus Bilder einer Apokalypse: Doch die Filmmontagen aus realen Naturkatastrophen im Nachrichtenformat mit einem ausphantasierten Weltuntergangsszenario, einer Teerflut an den Küsten von Schlaraffenland, der Invasion bunter Monster und vor allem einer entfesselten „Barbie-Bande“ junger Mädchen in rosa Tüll, die smarte Unternehmer in Schlaraffenland prügeln, geraten zum „Apocalypso“, die Verhältnisse tanzen. Die Videos wurden mit den Frankfurter Kindern Mara Bieberich, Zora Christ, Linus Engelhardt, Sophie Nicole Gorbunova, Liv Jünemann und Naomi Schwarz gedreht, auf der Bühne spielen in bunten Konsumtrashkostümen die Hamburger Kinder Charlotte Heidenreich, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal und Jasmin Taeschner ein souveränes Spektakel. Das ist inszeniert, klar - aber es wirkt sehr frei. Und die beiden Erwachsenen Akteure halten sich im Gegensatz etwa zu „Lucky Strike" völlig raus. Das macht „Exodus“ weitaus überzeugender, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich. In dem schlichten, ausgetüftelten Sperrholz- und Leinwand-Bühnenbild entsteht ein grellbuntes, lautes, lustiges und doch sehr nachdenkliches Panoptikum, an dessen Bildern und Bonmots man Freude hat - und dessen fantasievolle, tatsächlich aus einer jungen Perspektive formulierte Kritik durchaus sitzt. Kein Wunder, dass das Schild mit der Aufschrift „Erlöst uns!“ schließlich ins Publikum wandert. Es ist ja schließlich ein gemeinsames Theater, das diese „Masters of the Universe“ wollen.
Das Theater der unfertigen Formen
„Exodus“ heißt das Finale der Trilogie um Überfluss, die das Performance-Duo SKART auf Kampnagel Hamburg gemeinsam mit Kindern entwickelt hat. Die erzählt auch vom Untergang und Neuanfang des Theaters.
Was ist das, was sie da hochhalten? Schief geratene Schilder, auf denen aber gar nichts steht?Symbole oder nur geometrische Formen, die sonst nichts bedeuten? Ist das eine Prozession eines Kultes, eine politische Demonstration oder ein Trauerzug? Immer im Kreis herum tanzt eine Handvoll Kinder in Kostümen irgendwo zwischen verlotterter Ballerina und Schlafanzug-Party hintereinander her. Auf dem Boden liegen diese Formen herum, lauter versprengte Versatzstücke, aber von was bloß?
Gruslige Glückseligkeit
Auf der Leinwand im Hintergrund der Bühne gibt's dazu rasant zusammengeschnittene Szenen mit lauter Musik und Gejohle, in denen konsumgeile Massen in Ekstase Flachbildschirme aus den Tempeln der Unterhaltungselektronik schleppen, Tabletkäufer im Apple Store durchs Spalier aus frenetisch jubelnden Verkäufern hüpfen oder völlig gaga-glückliche Passanten irgendwelche albernen Werbefigürchen ganz, ganz fest in den Arm nehmen. Ganz schön gruselig, diese Collage der verrücktesten Formen der Glückseligkeit in der Überflussgesellschaft. Und zwischendurch immer wieder diese Schlange, die versucht sich selbst zu fressen.
Ein bedrohlich wirkender Auftakt für diesen „Exodus“ mit dem nach „Lucky Strike" und „Schlaraffenland“ die Performance-Triologie über Besitzansprüche, Konsumdenken und Materialismus ihren Abschluss findet. Entwickelt hat sie das aus den Theaterwissenschaften Mark Schröppel und Philipp Karau bestehende Duo SKART gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aus Nenas Neuer Schule Hamburg, der Erich Kästner Schule in Hamburg-Farmsen und der Freien Schule Frankfurt in den vergangenen zwei Jahren auf Kampnagel in Hamburg.
Kaputtes Schlaraffenland
Dann wird es ganz still auf der Bühne. Langsam robbt ein merkwürdiges Gebilde auf die Bühne, das sich erst im Licht als aufblasbare Rettungsinsel entpuppt. Ein kleines blondes Mädchen steckt seinen Kopf heraus und beginnt eine eindringliche Ansprache: All die Teile, die hier herumliegen, das waren einmal unsere Häuser gewesen. Jetzt ist alles kaputt. Selbst schuld! Immer mehr wollten wir doch immer von allem haben - nun ist nichts mehr da, sind auch wir nichts mehr, erzählt uns dieses kleine „Wesen der Zukunft“ All der Überfluss: Nur noch ein riesiger Müllhaufen aus der Form geratener Einzelteile ist davon übrig.
Kurze, professionell produzierte Breaking-News-Video-Schnipsel erzählen dann immer wieder vom Aufstand im Schlaraffenland. Da macht eine dionysisch feiernde Barbie-Bande ausgelassen kichernd Jagd auf Yuppies. Ein irgendwie verdellt wirkender Sesamstraßen-Ernie zieht seinen SUV mühevoll selbst doch die Straßen, weil kein Benzin mehr da ist. In einem wirklich romantischen Filmchen finden ein Müll-Godzilla-Monster, das die Welt mit seinem Feuerarten in Brand steckt, und eine kleine Mülltonne schließlich zusammen
Collage unfertiger Formeln
Auf der Bühne werden derweil die herumliegenden Formen neu zusammengesetzt, wieder auseinandergenommen, verschoben und wieder zusammengesetzt. Ganz sorgfältig wird jede Verbindung immer wieder überprüft. Bald wird daraus ein kleines Haus, dann wieder eine Mauer, schließlich ein Schiff auf dem alle am Ende Richtung Zukunft segeln.
Ein Spielplatz für lauter kleine choreografische Bilder und Texte, die in ganz einfacher Sprache, aber beeindruckend verdichtet vom ewigen Nichtstun beim Couchsurfen und Youtube-Clips-Gucken erzählen oder vom Verwählen in der Death-Box-Telefonzelle, in der man sich die schönste Selbstmordvariante aussuchen kann.
Das ist alles abwechselnd erschütternd und voller Furor, dann wieder nachdenklich und ganz reduziert und nicht zuletzt auch niedlich anzusehen, wenn die Kleinsten mit einer Bühnenpräsenz und Textsicherheit, von der Erwachsene sich eine gute Scheibe abschneiden können, als Zigarettenschachtel auf Mülltonnen balancieren oder mit Laserpointern verlängerten Fingern vorsichtig den Theaterraum abtasten.
Keine abgeschlossene Geschichte erzählt der Abend, sondern stellt ein opulentes offenes Theater der unfertigen Formen aus, das ebenso viel von der Leere der Konsumgesellschaft erzählt wie vom Ende und Neuanfang des Theaters.
Neue Theater Generation
Denn Ziel des Projektes ist es, ein Theater der neuen Generation und eine neue Generation von Theater zugleich zu erproben: radikal basisdemokratisch, anarchisch postdramatisch und leidenschaftlich antipädagogisch. Kinder und Skart-Performer sind alles zugleich: Ideengeber und Regisseure, Darsteller und Autoren, Bühnen und Kostümbildner. Ein emanzipiertes gemeinsames gemeinsames Lernen statt machtbasierter verdummender Pädagogik.
Heraus kommt tatsächlich weder ein Theater nur für Kinder und Jugendliche noch eine eitle Veranstaltung für Theaterwissenschaftler, sondern eine soziale Plastik, die man als eigenständigen Beitrag zur kulturellen Bildung unbedingt ernst nehmen darf.
Dieses Finale der Trilogie wirkt reduzierter als der noch etwas herumtastende erste Teil und der zweite mit seiner an Verweisen und Bildern überreichen Üppigkeit. Und dass es, dem nicht immer flott vorangehenden Bühnenbildbasteln geschuldet, ein paar Längen gab, das mag man gern verzeihen. Beim groß angelegten Theaterumbau muss es ja erlaubt sein, dass man sich dafür Zeit nimmt.
Kritik bei NDR Kultur