Krawall mit den Grimms
Krawall mit den Grimms
Windeln und Badelatschen trägt der eine, Strampelanzug und Propellermütze der andere. Hintern an Hintern tanzen sie zur elektronischen Musik aus den Boxen über das Parkett. Man merkt es nicht sofort, doch die Angst ist das große Thema an diesem Vormittag auf der TiL-Studiobühne.
Die Performancegruppe SKART (Schröppel Karau Art Repetition Technologies) zeigt das Märchen »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen« für Zuschauer ab acht Jahren in einer anarchischen Version: mehr Deichkind als Gebrüder Grimm, mehr Krawall als Moral. Doch das Chaos auf der Bühne hat Methode: Nach ihrem Prinzip der Antipädagogik begeben sich Philipp Karau und Mark Schröppel, die sich in Gießen während des Studiums der Angewandten Theaterwissenschaften kennenlernten, mit den Kindern im Publikum in Komplizenschaft. Da darf ein Patient auf dem Zahnarztstuhl malträtiert, ein Laubmonster verdroschen und der Tod höchstpersönlich ausgelacht werden.
Die Geschichte ist schnell erzählt: In einer Familie von Angsthasen, Bedenkenträgern und Risikoabwägern wächst der Jüngste auf. Sein Beitrag zum Hausfrieden soll sein: die teure Vase nicht zu zerstören; nach dem Spielen die Hände zu waschen; Vitamine zu essen. Bald fragt er sich: Ist diese Furcht, die von den Erwachsenen mit solch einer Inbrunst exerziert wird, die er selbst aber noch nicht kennengelernt hat, vielleicht ein spannendes Hobby der Erwachsenen? So nimmt das Märchen »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen« seinen Lauf. Doch der Zahnarzt kann den Jüngsten genauso wenig schocken wie das Laubmonster oder eben der Tod persönlich. SKART zeigen in einem collagierten Bild- und Textreigen, wie Kinder mit ihren Ängsten, wie auch immer die letztlich aussehen mögen, umgehen können: Aufstehen. Lachen. Weitergehen. Die Moral bis zu diesem Punkt: Angst ist, was du draus machst. Ein Laubmonster kann man fürchten. Man kann es aber auch als das entlarven, was es eigentlich ist: ein Komposthaufen. Die Furcht, jene in seiner Familie so verbreitete Form, lernt der Jüngste in diesem schrillen Bühnenchaos nicht kennen.
»Na, dann zieht mal in den Krieg«, spricht plötzlich eine verzerrte Stimme aus dem Off. Und alles kippt. Vorbei das fröhliche Deichkind-Theater mit den bunten Videos auf der Leinwand und den lustigen Jungs auf dem Parkett. Nun werden die Kinder aus dem Publikum zum gemeinsamen Marschieren und zum Präsentieren der Spielzeugpanzerfaust gerufen. Das lockere Pop-Art-Märchen verkehrt sich ins Gegenteil. Das Lachen erfriert zu einer Maske, auch wenn SKART nicht den Anspruch verfolgen, eine endgültige Botschaft vermitteln zu wollen.
Selbst beim Zahnarzt keine Angst
Selbst beim Zahnarzt keine Angst
Anarchisch-komische Interpretation des bekannten Grimm'schen Märchens auf der Theaterbühne
Ist Angst etwa ein Hobby der Erwachsenen? Macht Angst sogar Spaß? Auf eine verstörend-komische Reise auf der Suche nach der Angst begibt sich der Hauptprotagonist der interaktiven Musicalperformance „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, die am Dienstagmorgen Premiere auf der TIL-Studiobühne feierte.
In der anarchisch komischen Interpretation des Märchens der Brüder Grimm erforschte das Kollektiv SKART, bestehend aus ehemaligen Studenten der Angewansdten Theaterwissenschaften in Gießen, das Thema Angst in all seinen Ausdrucksformen. Als Inbegriff des Bösen entsteigt zunächst ein finsterer, schwarz gekleideter Death-Metal-Typ einem Papierkokon unter der Bühnendecke und versucht auf der mit rotem, aggressivem Lack ausgelegten Bühne im Publikum Angst und Schrecken zu verbreiten. Dieser Versuch misslang jeoch gründlich.
Aber genau hier setzt das temporeiche, wild-chaotische und kreative Stück an. Der „eine, der auszog“ kommt aus einer Familie, wo er neben den alltäglichen Ängsten der Eltern, Großeltern und Geschwister wohl behütet zwischen „Sanddorn-Bio-Fruchtschnitte“ und Tennisunterricht aufwächst. Selbst komplett furchtlos, packt ihn eines Tages die Neugier, wo diese Angst überhaupt zu finden ist.
Nahezu herausfordernd begibt er sich in alltägliche Angstsituationen, die dem schier unerschütterlichen Bengel im rosafarbenen Teddybär-Schlafanzug und der Karlsson-Propeller-Mütze jedoch nichts anhaben könne. Weder die traktierende Behandlung in der Angstpraxis eines Zahnarztes, in welcher mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Publikum Lollibohrer und wasserspritzen zum Einsatz kommen, noch die Begegnung mit dem Tod in Form eines etwas tollpatschigen, unförmigen Sensenmannes können ihn das Fürchten lehren.
Durch die mehrschichtige Collagentechnik des Stückes, die mit Hilfe von eingespielten, parallel laufenden Videosequenzen erzeugt wird, wird der Betrachter jedoch in zweiter Ebene hinter aller Komik mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert. Etwa die grauenerregenden Bilder einer brutalen Zahnbehandlung, die kontrastreich zum turbulenten, eher witzigen Geschehen auf der Bühne fungierten. Zudem werden hier Klischees aufgegriffen, die beispielsweise mit massiven Markenwerbeblöcken die Angst „nicht dazuzugehören“ symbolisierten. Am Ende der Aufführung, die in einer turbulenten Kriegsszenerie mit rosa Maschinengewehren und fast allen Anwesenden auf der Bühne in einem riesengroßen Schlachtfeld endet, hatten wohl alle wenigstens kurze Erinnerungen und Bilder der eigenen Ängste vor Augen – wenn auch icht unser Hauptprotagonist.
Im anschließenden Gespräch mit Abdul M. Kunze, dem Leiter des Kinder- und Jugendtheaters, konnten die Gäste offene Fragen klären, eigene Angstsituationen schildern und zudem die beiden Darsteller mit Fragen bombardieren. Philipp Karau und Mark Schröppel bilden das Kollektiv SKART, das sie im Zuge ihres gemeinsamen Studiums der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen gründeten. Sie arbeiten seit 2009 mit dem Münchener Künstler und Bühnenbildner Stephan Janitzky zusammen und verwirklichen Projekte im Bereich multimedialer, bildender Kunst und von elektronischer Musik geprägte Theaterstücke.
Die Angst erklären – SKART krempelt TIL um
Zwei ehemalige Studenten der Gießener Theaterwissenschaft krempeln das bekannte Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ total um.
Sie „kochen“ es für Achtjährige poppig, surreal und comichaft auf, lassen keine krachende Musik, keine psychedelischen Flimmerbilder aus, um ein Publikum, das durch die Medienflut verwöhnt ist, im TIL 60 Minuten bei der Stange zu halten.
SKART nennen sich Philipp Karau und Mark Schröppel, die als Laubmonster, Tod, Waffenträger oder Zahnarzt versuchen, den Kindern die Angst vor der Angst zu erklären.
Spritzen beim Zahnarzt erschrecken ebenso wie Explosionen.
Die jugendlichen Zuschauer lassen sich nur mühsam bewegen, das turbulenteSpiel mitzumachen – aus Angst, sich auf der Bühne vor den Mitschülern zu blamieren, wie im zögerlichen Abschlussgespräch klar wurde.
Dabei geben sich die beiden quicken Spieler jegliche Mühe, ihren Zuschauern das Gruseln beizubringen. Überdrehte, verzerrte Stimmen aus dem Off, eine beängstigende Bilderflut münden in szenischem Müll. Riesengroße Spritzen beim Zahnarzt oder Atomexplosionen auf Monitoren besitzen großen Unterhaltungswert. Lösungen bieten, wie in der Nachfrage erläutert , die beiden Mimen nicht an. Eine „interaktive Musikperformance“ nennt sich die absurde Kurzweil.
Für das Theater der Zukunft
Hamburg. "Frei-heit, Frei-heit", skandierte, im Sound-Loop minutenlang zu hören, die Fanmasse eines Pop-Konzerts. Jeder Einzelne von ihnen versteht vermutlich darunter etwas anderes. Genau wie die etwas ratlos vor geschlossenem Tarnnetz-Vorhang lauschenden Besucher der Performance "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker" beim Start des Körber Studios Junge Regie 2012 im Thalia in der Gaußstraße. Einige nahmen sich denn auch die Freiheit, den Saal zu verlassen.
Mark Schröppel und Philipp Karau vom Kollektiv Skart aus Gießen - zugleich auch die Performer - demonstrierten reichlich künstlerische und körperliche Freiheiten in ihrer satirischen Collage über die Befindlichkeiten der Deutschen zwischen Nazi-Vergangenheit und neoliberaler Gegenwart. Sie sprangen spielerisch mit den Idol- und Klischee-Bildern von rechts und links, von DDR und BRD um und demontierten sie respektlos. Nur mit Enten- und Froschkopf bekleidet, führten sie Ideologie-Dispute ad absurdum und outeten sich als Fans von Fritz Teufel - für das frech-fröhliche Duo der "Archetypus des Freigeists".
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Dann lieber die bisweilen naive Radikalität des Skart-Kollektivs. Es bedient sich locker der Old-School-Formen wie Dada, Performance oder Punk, formuliert aber daraus eine neue, an bildender Kunst orientierte Sprache - gegen die Theaterkonvention. Schröppel und Karau berufen sich im Publikumsgespräch auf das Scheitern als Chance und zitieren Martin Kippenberger: "Mit Pubertät zum Erfolg." Sie übertragen die Montage-Prinzipien eines Jonathan Meese auf die Bühne und hauen dem Zuschauer ihren entwaffnenden Bubencharme um die Ohren. Auf die Frage, warum sie nur mit einem Frosch- beziehungsweise Entenkopf "bekleidet" auf die Bühne kommen, antworten sie: "Uns hat das Kostüm so am besten gefallen!" Ihr Stück ist ein mit ironischen Anspielungen aufgeladenes Bilder- und Wortpuzzle. Soll sich doch jeder denken, was er will. Wie der Kunst, sei auch dem Zuschauer alle Freiheit zugestanden. Noch.
Deutschland, eine Abrechnung
Als Philipp Karau und Mark Schröppel am Freitag und Samstag anlässlich ihrer Diplominszenierung die TiL-Bühne betraten, schien es zunächst, als wollten die beiden Studenten der Angewandten Theaterwissenschaften nur von Fritz Teufel berichten. Der war einer der Mitbegründer der Kommune I, verbrachte einige Jahre im Gefängnis und kam durch das geplante „Pudding-Attentat“ auf US-Vizepräsidenten Humphrey zu Berühmtheit. Als Teufel letztes Jahr starb, verschwand seine Urne, um neben dem Grab Rudi Dutschkes wieder aufzutauchen.
In der Tradition von Teufels Spaßguerilla steht die Performancegruppe SKART (Schröppel Karau Art Repetition Technologies). Als die beiden sich als Kapitän und Stewardess kostümiert haben, können die Spiele beginnen: Schokoküsse fliegen ins Publikum und wieder zurück auf die Bühne, es wird Wasser verspritzt und hin und wieder aus der Rolle gefallen. Eine Stunde lang verhandelt „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ deutsche Verhältnisse seit dem zweiten Weltkrieg: Von Max Schmelings Niederlage gegen Joe Lois in New York 1938 bis hin zum Diskurs um gewalttätige Jugendliche mit Migrationshintergrund, mit Zeitzeugen und Popmusik. Das ist irrsinnig, laut und lustig, Ironie und Chaos haben dabei genauso ihren Platz wie die Dekonstruktion von Geschlechterrollen und Nationalstaatlichkeit. Grandios choreografiert ist der Kampf, den die beiden mit Ritterrüstung und Steinschleuder bewaffnet gegeneinander führen und der in der Zerstörung von Teilen des Bühnenbildes endet. Aus den Trümmern erstehen SKART mit Bommelhut und Kopftuch auf, Requisiten werden aus den Sägespänen am Boden gezogen. Nach minutenlangem Abspielen von Westernhagens „Freiheit“ öffnet sich die symbolische Mauer aus Tarnnetz noch einmal. Die beiden Performer mit Hang zum Exhibitionismus erscheinen in Frischhaltefolie und Theraband eingewickelt, mit Frosch- und Entenmaske unterhalten sich Schlagersänger Roberto Blanco und Vertriebenenvertreterin Erika Steinbach über Werte und Ordnung.
Die Vielstimmigkeit, schiere Masse und Lautstärke von Video, Klängen, Aussagen und auch technischen Mitteln ist erschlagend: Gartenzwerge baumeln von der Decke, Pflastersteine werden in die Waschmaschine gesteckt, Plakate mit grotesken Masken fragen: „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab‘?“ Mit auf der Bühne ist das werwolfartige Haustier (Verena Billinger) im knappen Goldbadeanzug, das vor den sechs Fernsehern Fanta trinkt.
Gegensätze werden nicht aufgelöst, sondern ausgestellt, das Motto lautet: Verständnislosigkeit statt Empathie, Unterhaltung statt Erziehung. So auch in der letzten Produktion „Der Fischer und sein Mann“ als Musiktheater für Kinder in Duisburg, im Februar zeigen sie „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ nochmals in Mülheim a. d. Ruhr, als „Versuch eines abseitig artikulierten Kommentars über ein Land, in das man durch Zufall hineingeboren wurde, zu scheitern“.
Der große Coup kommt zum Schluss: Sebastian Unsinn alias MC Burger King von der Augsburger Electrocombo „Bassschickeria“, entsteigt in weißer Priesterrobe zum Finale, rappt mit eindringlicher Stimme und verspritzt salbungsvoll Bier, während Schröppel und Karau einen modifizierten Reichsadler herumtragen. Trotz der offensichtlichen Punk-Attitüde, die SKART vertritt, bleibt die Aussage vieldeutig. Ein Fest der Körper und der Anarchie.
Linksradikaler Kindergeburtstag
SKART hat mit „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ einen irrwitzigen Trip durch die Geschichte der BRD nach 1945 auf die Bühne gepfeffert. (...) Statt ausgefeilten Dialogen knallen Bilder, Botschaften, Songs und Videoeinspielungen in rasendem Wechsel auf Netzhaut und Trommelfell, bis das Ganze bei einem Loop aus Westernhagens schlimmstem Stück, „Freiheit“, minutenlang stehenbleibt. Das ist wahre Folter, der unbarmherzig verlängerte Scheitelpunkt einer Achterbahnfahrt vor dem Absturz. Der wiederum entpuppt sich als schreiend komischer Dialog zwischen Dauergrinser Roberto Blanco und der ewiggestrigen Vertriebenenvertreterin Erika Steinbach - in Frosch- und Entenmaske. Bei all dem Spektakel verliert das Stück nie an Unbekümmertheit, Ironie, Witz und - das muss erlaubt sein - Liebe. Die Bilder sind immer spannend, einfallsreich und entwaffnend, an- bzw. ausziehend.
Liebe in grellen Farben
„Galactic Gigolo“ macht den Auftakt zum studentischen Festival „megafon“
Bochum. Schrill und bunt. Ein bisschen schräg und richtig provokant – das Stück „Galactic Gigolo“ der Gruppe SKART bildet den passenden Auftakt für das studentische Festival „megafon“ 2010.
In der multimedialen Inszenierung beschäftigen sich die Akteure mit Liebe in all ihren Facetten und Toleranz.
Ob Homosexualität, Travestie oder Schönheitsideale – die Darsteller kennen keine Tabus und sprechen offen und mit kindlicher Unbefangenheit die oftmals problematischen Themen der heutigen Gesellschaft an. Die Umsetzung ist bewusst grell. Futuristische Musik und collagierte Videos wirken erbarmungslos auf das Publikum ein. Substanz erhält das Stück durch die Einblendung wahrer Geschichten.
Zum Denken anregen. Die Wahl der gezeigten Bilder ist zum großen Teil aber Geschmackssache. „Wir wollen keine Masterantwort bieten, sondern zum Nachdenken anregen. Wenn nur einer plötzlich bereit ist die Dinge in einem anderen Licht zu sehen, haben wir unser Ziel erreicht“, erklären Mark Schröppel und Philipp Karau. Das Ziel ist mit Sicherheit erreicht. Denn die Methode zeigt Wirkung: Nach der Aufführung finden sich fast alle Zuschauer in der Nähe der Bühne ein, um mit den Darstellern über die Idee des Stückes zu diskutieren.
Geschlechterbashing
Adorno hätte sich im Grabe umgedreht bei eurem Anblick. Susan Sontag hätte euch in einen ihrer Essays aufgenommen, Britney Spears in eines ihrer Videos. Andy Warhol hätte euch für seine Werkstatt engagiert, Sybille Berg als Romanfigurhauptvorlage. Jan Fischer und Sachsen-Paule hätten euch mindestens eine Nebenrolle angeboten. Alfred Kinsey hätte in euch eine Bestätigung seiner Thesen gesehen, Nietzsche wohl auch. Judith Butler hätte mit euch diskutieren wollen, Simone de Beauvoir auch (aber ohne Sartre). Die Berliner Nudistenvereine hätten euch Beide als Ehrenmitglieder gewollt. Sie alle haben euch und euren Galactic Gigolo nicht gesehen – und damit einen wirklichen großen Abend verpasst.