Glücklicher Faschist
Einmal im Leben nicht der Loser sein: Wer immer schon mal Sand ins Gesicht des Schulhofschlägers werfen und damit das Herz einer eingeölten Schönheit erobern wollte, für den war der Barbar Conan in den 1980ern das willkommene Role Model: ein von harter Arbeit gestählter Ex-Kindersklave, der ebenso Bekleidungs- wie Wort-arm im Alleingang Rache nimmt. Für alle anderen allerdings war John Milius' Low-Fantasy-Streifen mit dem eindrucksvoll ausdruckslosen Arnold Schwarzenegger in seiner ersten Filmrolle nur menschenverachtender faschistoider Stumpfsinn: ein Celluloid gewordener feuchter Traum für totalitäre Gewaltfreaks.
Für Mark Schröppel und Philipp Karau aber steckt in dem umstrittenen Genreklassiker mehr. "Wir haben in dem Film ein Paradebeispiel für den zeitgenössischen westlichen Menschen entdeckt", erzählen die zwei Theaterwissenschaftsabsolventen der Uni Gießen, die sich vor acht Jahren im Performance-Duo "Skart" - kurz für: "Schröppel Karau Art Repetition Technologies" - zusammengetan haben, um popkulturell geprägtes Collagentheater mit politischem Anspruch zu machen. Für sie ist der muskelbepackte Rächer eine gleichnishafte Ikone: ein isoliertes und verunsichertes Individuum, ein ruheloser Entwurzelter, hin- und hergeworfen zwischen Größenwahn und Überforderung, Hoffnung und Versagen, Zwang und Eskapismus.
Bereits im vorigen Jahr haben Schröppel und Karau den ersten Teil ihrer Geschichte des stumpfsinnigen Sinnsuchers in der Performance "Conan der Barbar" erzählt. Als multimediale Anarcho-Materialschlacht mit irrwitzigen Bühnenbildern, handgemachten Videos, totalitären Elektrosongs und jeder Menge zwanglosem Sendungsbewusstsein.
"Wir haben Milius' Film als Blaupause benutzt, um eine Zeitgeistfarce zu erzählen, in der jeder von uns ein trashiges Abziehbild Conans sein kann", erzählt Schröppel. Aus dem Ein-Mann-Rachefeldzug des Barbaren wird bei "Skart" so eine groß angelegte Auseinandersetzung mit Desorientierung und Aufbegehren im Kapitalismus.
"Unser Conan hangelt sich durch verschiedene Lebensstationen, die immer an Sinnkrisen gekoppelt sind", erklärt Karau. Da geht es inmitten surrealer Vogelwesen, im SM-Vakuumbett oder auf einem Turm aus Coca-Cola-Kisten ums Verlieben und die Sexualität, um den Materialismus oder die Spiritualität. Aber immer wieder scheitert die barbarische Suche nach einer sinnstiftenden Existenz: glücklich wird dieser Conan im zeitgenössischen Kapitalismus nicht.
Im zweiten Teil, "Conan der Zerstörer", haben Schröppel und Karau ihren Anti-Helden deshalb mit der Ideologie flirten lassen. In einer kruden Mischung aus Lesung, Vortrag und Late-Night-Talkshow wird dem Einzelkämpfer nun ein schmerz- und widerspruchsfreies Leben ohne Angst und Sinnentzug versprochen: als Faschist. Für Schröppel und Karau eine Möglichkeit, neokonservative Tendenzen nebst Biedermeier-Relaunch und Einfamilienhaus-Eskapismen zu hinterfragen, indem die dahinter liegenden Wertevorstellungen ins Absurde getrieben werden.
Mit "Conan Baby" bringen "Skart" nun auf Kampnagel eine Fusion der vorangegangenen Teile als zweieinhalbstündige Tour de Force in drei Teilen auf die Bühne: vom Biografie-Teil mit mitten in der Bühne sitzendem Publikum geht es in einen White Cube zur Indoktrination durch einen Sektenguru und schließlich in eine Late-Night-Show, in der in übergriffiger Interaktion mit dem Publikum Körperkult, Design und Vorteile totalitärer Regime untersucht werden.
Es ist eine eigentümliche Mischung aus Irritation, Humor und Sendungsbewusstsein, die das Duo dabei antreibt. "Wir zielen nicht auf einen eindeutigen Erkenntnisgewinn", sagt Karau. "Wir bieten stattdessen eine Collage an, die sich an verschiedenen Themenkomplexen abarbeitet." Nicht belehrt soll das Publikum am Ende aus dem Theater kommen, sondern Anreize mitnehmen, sich auf ganz persönliche Weise mit der Thematik auseinanderzusetzen. "Unsere Stücke sind oft intensiv und auch überfordernd", sagt Schröppel. "Wir versuchen, die Leute, aber auch uns selbst bei den Konventionen zu packen - indem wir uns mit offenem Visier brachial die Breitseite geben."
ICH FRAGE MICH, WARUM WIR UNS SCHON WIEDER NICHT GEMERKT HABEN WIE ALT IHR EIGENTLICH SEID
Theater der Direktheit
Die zweite von mindestens zwei Möglichkeiten, viele Arbeiten zeitgenössischer Performancekunst zu beschreiben, verhält sich konträr zur ersten, und ihr Gewährsmann ist nicht Brecht, sondern Antonin Artaud, der versuchte, ein „Erfahrungstheater
der größtmöglichen Nähe und Direktheit" zu etablieren. Artaud betrachtete die Bühne als konkreten, körperlichen Ort mit einer eigenen die Sinne adressierenden Sprache, die eher in ihren lntonationen, ihrer Musikalität und Brüchigkeit interessant ist als in ihren Inhalten. Es handelt sich um ein Theater der Bilder und Geräusche, das nicht unbedingt
einer klassisch -linearen Dramaturgie folgt. Es fällt nicht schwer, die Produktionen von Masters of the Universe in diese Tradition einzureihen: Das nicht-narrative Bilder- und
Soundtheater der Gruppe zeigt eine sehr eigene, auf einer Fülle von Reizen aufbauende Ästhetik. Verzichtet man auf eine vorhersehbare Handlungslogik, kann als nächstes alles
passieren: Masters ofthe Universe spielen mit Lautstärke und Geschwindigkeit, aber auch mit Ruhe und Dauer. Die Körper auf der Bühne dienen nicht als Träger von Figurenidentitäten, sondern kommen in ihrer individuellen, physischen Eigenheit zur Geltung. All das kann auch provozieren, wie die kindliche Performerin in "Lucky Strike", die im Latex-Catwoman-Kostüm und einem Gewehr in der Hand einen Performer dazu auffordert, sein Leben zu beenden. Dieses Theater ist nicht moralisch- aber es kann uns dazu bringen, unsere eigenen politischen und ästhetischen Erwartungen radikal
zu hinterfragen.
Theater des Kollektiven
Showcase BeatLe Mot und Masters of the Universe begreifen sich als Kollektive; und auch die Zusammenarbeit von Zaun und dem Theater die stromer kann als kollektiv beschrieben werden . Somit findet der nicht-hierarchische Umgang mit ästhetischen Theatermitteln, der hier erläutert wurde, eine Die größte Provokation vieler dieser und weiterer performativer Einflüsse auf zeitgenössische Theaterformen für ein junges Publikum liegt womöglich darin, dass etliche ihrerAkteur*innen zunächst gar keinen Sinn sehen in einer strikten Abgrenzung und dem Label Kinder- und Jugendtheater, geschweige denn in eine Unterteilung eines anvisierten Publikums in Altersgruppen."lch frage mich, warum wir uns schon wieder nicht gemerkt haben, wie alt ihr eigentlich seid?"- diese fragende Äußerung des Spielers Best in „Stinkt Pink?" trifft den Nagel auf den Kopf. Die hiermit verbundene Haltung, dass das Publikum, egal welchen Alters, solange nicht weiß, was es sehen will, bis es das gesehen hat, und dass das auch niemand vorhersagen kann, widerspricht einem eher handwerklichen und theaterinstitutionellen Kunstverständnis. Vielleicht ist sie idealistisch. Vielleicht liegt hierin aber auch ein riesiges künstlerisches Potential: „Jeder ist willkommen!( ... ) Verflucht sei, wer uns nicht glaubt!“
GET INVOLVED!
Die Performer Philipp Karau und Mark Schröppel von SKART, ein Künstlerkollektiv, das 2006 ebenfalls aus dem Gießener Institut für Angewandte Thea- terwissenschaft hervorgegangen ist, schlagen unter dem Aspekt des partizipativen Mit- und Gegeneinander einen auffällig eigenwilligen Weg ein. Sie verschränken auf besondere Weise inhaltliche, ästhetische und strukturelle Innovation und haben in der Spielzeit 2014/2015 in Kollaboration mit Kampnagel Hamburg die schräge Revue „Lucky Strike“ produziert. Das partizipative Forschungsfeld der aktuellen Arbeiten von SKART umfasst vor allem die Suche nach einer gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen Er- wachsenen, Kindern und Jugendlichen. Für die In- szenierung „Lucky Strike“ übersetzen sie zusammen mit Schülerinnen und Schülern der Neuen Schule Hamburg das Märchen vom „Hans im Glück“ in die heutige Konsumwelt. Hans wechselt seine Identität, er wird genauso zum Nihilist, der jegliche Wertvorstellungen hinter sich gelassen hat, wie zum Materialist, der skrupellos allen Verführungen der Warenwelt auskostet und seiner Habsucht frönt. Be- sitzansprüche werden mit Fantastik gepaart, Justin Bieber wird als Pappkamerad das Objekt der Begierde eines der mitspielenden Mädchen, religiöse Myste- rienspiele sind mit politisch grundierten Gewalt- vorstellungen unterlegt, popkulturhaltigem Bild- reichtum und Spielastik von überzeichneten Video- einspielen überhöht, bis am Ende alle in einer End- losschleife auf der Hüpfburg miteinander in der ewigen Wachstumsspirale festhängen, die nur durch eine Spende von Zuschauerseite in den Stillstand hinein manövriert werden kann.
Das Besondere an der trashartigen Collage aus Bild, Aktion, Musik und Video ist, dass Kinder und Erwachsene keine Bühnensynthese entwickeln, son- dern unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven auf Inhalt und Ästhetik nebeneinander bestehen bleiben, aufeinander prallen und irritierend schräg erscheinen. In dieser Schräge liegt ein Versprechen: die Bühne als Kommunikationsfläche zu verstehen, die eine undogmatische Form der Auseinandersetzung erlaubt, aus dem Nebeneinander verschiedener kul- tureller Vorlieben ein eigenständiges Werk zu erzeugen, das die herkömmliche Theatergeometrie in eine Art Patchwork-Family umbaut.
Das Konzept der SKART-Künstler reduziert die Kinder und Jugendlichen weder auf Material, noch funktionalisiert es sie zu Bedeutungsträgern für eine übergeordnete inhaltliche Absicht. Die Künstlergruppe fordert die Akteure und Besucher zu neuen Haltungen heraus, indem den Kindern eine eigenständige, kritische Position im ästhetischen Urteilen, inhaltlichem Denken und inszenatorischen Entscheidungen zu- gesprochen wird, die wiederum die Sichtweisen der Erwachsenen unterlaufen dürfen. Der Ansatz von SKART will durch dieses Aufeinanderprallen von Wirklichkeiten eine Suche nach gleichberechtigter Ausdrucksweise betreiben und in der Konsequenz auch Denk- und Geschmackshorizonte erweitern.
Die Vielstimmigkeit der Arbeit ist ein erkennbares Qualitätsmerkmal der Inszenierung und mit etwas Abstand betrachtet stellt sich die Frage nach dem konstitutiven Kern der Gruppe: Sind es die Urheber? Ist es das aktuell arbeitende Ensemble aus Erwachsenen und jungen Menschen? Sind es die Kinder und Ju- gendlichen, die SKART erst zu SKART machen? Im Unterschied zu „Einige von uns“ wird die kol- laborative Praxis in „Lucky Strike“ im szenischen Ergebnis augenfällig und verblüfft in ihrem Mut zur radikalen Brüchigkeit. Ein schrilles und schep- perndes, feinsinniges und unverkrampftes „Wem gehört die Bühne?“ führt hier zu lustvollen Erobe- rungsspielen, die eine ungewöhnliche Ästhetik her- vorbringen. Eine, die keinen Besitzer kennt, keinen Autoren hat, sondern durch die kritische Begegnung nur im Zwischenraum aller Beteiligten zuhause ist.
Eine augenfällige Besonderheit bekommt bei dieser Formation der soziale Akt als künstlerische Praxis. Von Joseph Beuys’Sozialer Plastik aus argumentierend, definieren SKART ihre Position als eine, die mit ihren Antagonisten zu einer selbstkritischen Masse verschmelzen will und auf einer selbstorganisierten, basisdemokratischen Grundlage operiert. Gelingt die Provokation von kollaborativen Spielzügen noch relativ berechenbar in Aktionen, die zwischen den Spielern liegen, stellt die theatrale Bühne ihre eigene Herausforderung an ein kollaborativ agierendes En- semble. Die Darsteller müssen nicht nur ihre Inhalte für Dritte zugänglich machen, sondern auch über den gemeinsamen Weg und dessen Transformation in ein Bühnengeschehen verhandeln, so dass das Hin und Her zwischen Verfahrensweise und Zeige- absicht spannungsreich und spannungsbereichernd ist. Mark Terkessidis formuliert in seiner Abhandlung „Kollaboration“ den Gap, den kollaborative Projekte überwinden müssen, wenn sie die Dimension des Zuschauers berücksichtigen, ohne sich an der „an- geblichen Authentizität der Community“ zu laben.5 Seine Schlussfolgerung macht deutlich, dass sich partizipative Projekte für gewöhnlich nicht im Prozess der Kollaboration erschöpfen, sondern die Schnittstelle zwischen Kunst und Kultur zum Problemfeld haben, das einer „ethische(n) Leitidee bedarf“. Diese fungiert im Prinzip einer kollaborativen Kunst aber „als soziale Praxis, die wiederum als ethische Zielsetzung nicht den Selbstausdruck des Individuums hat, sondern den Ausdruck des jeweils anderen fördert“.
Für Anarchie und Peinlichkeit
Postdramatisch, basisdemokratisch und antipädagogisch: Das Performance-Duo Skart erzählt in "Lucky Strike" das Märchen "Hans im Glück" neu
So empfänglich die acht Schüler der Rahlstedter Neuen Schule Hamburg für antikapitalistische Ideen auch sind, klare Grenzen gibt es doch: "Wenn man sich über Justin Bieber lustig macht, finden manche von denen das überhaupt nicht lustig", haben Philipp Karau und Mark Schröppel vom Performance-Duo "Skart" feststellen müssen. Aber auch Heiligtümer müssen zerstört werden: Eines der Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren wird in "Lucky Strike" seine blutigen Fantasien an dem kanadischen Teenieschwarm ausleben. Der steht als Pappaufsteller auf der Bühne - zusammen mit einem Papp-SUV, einer Louis-Vuitton-Stellwand, einer überdimensionalen Veuve-Cliquot-Flasche und einer Hüpfburg.
In "Lucky Strike" verarbeiten Skart das Märchen von Hans im Glück - als Allegorie der Verweigerungshaltung gegenüber dem Selbstoptimierungsdenken und dem Materialismus. "Lucky Strike" ist die erste Arbeit, die im Rahmen der zweijährigen "Doppelpass"-Kooperation zwischen Skart und Kampnagel entstanden ist.
Deren Ziel ist die Entwicklung eines postdramatischen Kinder- und Jugendtheaterprofils, das aber alle Altersschichten ansprechen soll. Deswegen legte Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard den beiden auch nahe, keinen deutschen Kindermärchentitel zu wählen. "Wir haben ,Hans im Glück' dann in schlechtes Englisch übersetzen wollen", erklären Skart: "Da kam erst ,Lucky John' bei raus, und daraus wurde irgendwie ,Lucky Strike'".
Seit 2006 machen die Theaterwissenschafts-Absolventen der Universität Gießen - und ehemaligen WG-Mitbewohner - unter dem Namen "Schröppel Karau Art Repetition Technologies" politische Anarcho-Performances irgendwo zwischen Dekonstruktion und Knallbonbon. Deren Ästhetik und basisdemokratischer Ansatz, erklären Skart, sei aus der Ablehnung der "gerne mal blöden, affektierten Exzentrik der Gießener Hipster-Off-Community" entstanden: "Ziel unserer Performances ist immer auch, Coolness-Codes zu durchbrechen und die Leute dazu zu animieren, zu ihren Peinlichkeiten zu stehen."
Mit "Der Fischer und sein Mann", einer Gender-Version des Grimm'schen Märchens, haben Skart 2011 am Theater Duisburg zum ersten Mal eine Kinderperformance inszeniert. Im Staatstheater werde Kindertheater oft geringgeschätzt, haben Skart beobachtet, in der Off-Szene aber finde es seit der ,Showcase Beat Le Mot'-Inszenierung vom Räuber Hotzenplotz vor sieben Jahren zunehmend Anerkennung. "Anti-Pädagogik" nennen Skart ihr Konzept, neben der anarchischen Komponente bedeute es, "soziale Interaktion zu reflektieren und bestehende Strukturen zu hinterfragen".
Bei den jungen Teilnehmern ist die Idee eines postdramatischen, basisdemokratischen Theaters allerdings nicht sofort auf Begeisterung gestoßen: "Kinder sind nicht per se kleine Anarchisten", vermuten Skart. "Die waren am Anfang nicht sehr angetan darüber, dass wir mit den üblichen Theaterkonventionen brechen." Auch das Gezanke darum, wer wann wie viel im Mittelpunkt stehen dürfe und wer welche Idee zuerst gehabt habe, sei zunächst noch groß gewesen. Irgendwann aber sei man dann an dem Punkt, an dem sie denken: "Ich bin stolz, wenn meine Idee performt wird, egal von wem."
Schließlich sollen die Kinder entdecken, was für eine kreative Spielwiese der Theaterraum ist, sobald Ego und Ängste erst einmal fallengelassen werden: "Auf der Bühne können sie alles herauslassen, was sie für peinlich halten, aber gerne machen. Oder sie stellen fest, dass ihre Schwächen eigentlich nur Eigenarten sind, die sie auszeichnen und liebenswert machen", erklären Skart. Im Idealfall kämen aus ihren Performances "reflektiertere, tolerantere und selbstbestimmtere Menschen heraus, egal welchen Alters". Wenn angesichts so hehrer Ziele Justin Bieber draufgehen muss, was soll's - ein bisschen Schwund ist immer.
Die SKART-Performance in der Brechtbühne – eine Begegnung
Philipp Karau und Mark Schröppel sind SKART – jenes Performance-Duo, das derzeit in der Augsburger Brechtbühne das Stück “Mein Freund, der Baum” zeigt. Judith Bohle spielt darin eine der beiden weiblichen Rollen. Oliver Brunner ist Dramaturg am Theater Augsburg. Im Foyer der Brechtbühne haben wir uns unmittelbar vor der dritten Aufführung über das Stück und seine Wirkungen unterhalten – neben einem Verriss in der Augsburger Allgemeinen und gemischten Publikumsreaktionen gehören dazu mittlerweile auch einige böse Leserbriefe mit zweifelhaftem Niveau.
Ein Rechtsanwalt aus dem Osten (der Name ist der Redaktion nicht bekannt) ist prototypisch für die sehr erregten Schreiber: Er habe gelesen …, verkündet der Jurist in einem Schreiben ans Augsburger Theater – und macht damit gleich mal klar, dass er das Stück gar nicht gesehen hat. Anschließend bombardiert er die Verantwortlichen mit juristischen Konvoluten und der Drohung, er werde sich an die wichtigen Sponsoren wenden, um Ähnliches zukünftig zu verhindern. Dass der Schreiber unter anderem den Namen des Dramatikers Samuel Beckett nicht richtig zu schreiben weiß, muss nicht verwundern.Philipp Karau gibt sich gelassen: Vor allem im Theater habe er durchaus heftigere Reaktionen erwartet. “Viele warnende Stimmen” habe es vor der Premiere gegeben, doch die “Angst vor dem Abo-Publikum” habe sich nicht bewahrheitet. Mittlerweile ist das Publikum beim “Baum” gemischt: Es kommen diejenigen, “die sich immer jedes Stück anschauen”, und gleichzeitig solche, die von der Diskussion darüber angelockt werden – “und in beiden Gruppen gibt es solche, die das Stück gut finden, und solche, denen es eben nicht gefällt.” Nach Ende der zweiten Vorstellung habe ein Zuschauer noch vor Einsetzen des Applauses seinem Ärger mit einem heftigen “Gott sei Dank!” Luft gemacht. Andererseits, so Karau, habe ihm in einer Augsburger Kneipe ein älteres Ehepaar zum Stück gratuliert: Die beiden fanden “Mein Freund der Baum” super und hatten lange darauf gewartet, dass “so etwas” auch mal in Augsburg zu sehen sei. Auch Mark Schröppel hatte gewisse Befürchtungen vor der Premiere: Er stammt aus Augsburg, ist hier zur Schule gegangen, glaubte, das Publikum und die Medienlandschaft zu kennen und hatte erwartet, “dass die Leute scharenweise buhen und rausgehen.”
Quietschbunte Bilder und lauter Elektrorock
So weit kam es nicht. Und dafür gibt’s ja auch, eigentlich, keinen Anlass, selbst wenn Schröppel und Karau nicht gerade vorsichtig mit den Emotionen des Publikums umgehen. Vor allem hauen sie ihm in hoher Geschwindigkeit und großer Lautstärke quietschbunte Bilder und sehr lauten Elektrorock um Augen und Ohren – die Musik ist oft zu laut, um die Texte zu verstehen, die Bilder wechseln zu schnell, um sie einzuordnen, die Botschaften sind zu verschlüsselt, um ad hoc Sinn und Unsinn zu trennen und sich sorgsam mit dem Geschehen auseinanderzusetzen. Das aber hat Methode: Es sei ja gerade das Schöne an ihren Performances, sagt Karau, “dass viele unterschiedliche Dinge passieren – denn das lässt viel zu.” Unter anderem will SKART dem Publikum zumuten, “zu akzeptieren, dass man eben nicht alles versteht.” Der Komplexität des Themas komme eine solche Vorgehensweise weitaus näher, “als wenn man ein enges Regiekonzept hat, in dem die Antworten schon enthalten sind.”
Apropos Thema: Es geht um Protest in dem Stück. Ein zuckersüßer Vortrag von Judith Bohle gleich zu Anfang mag noch dazu verführen, harmlos Ökokritisches à la “Wir haben nur eine Welt” zu erwarten. Wenig später allerdings wird das Publikum per Katapult mit riesigen Gummipenissen beschossen, erklären Rechtsradikale, warum sie keine “Ausländer” mehr haben wollen, singen schwarze amerikanische Schulkinder Hassparolen gegen “weiße Schweine”, wallfahrtet eine katholisch anmutende Prozession hinter einem Foto von Claudia Roth her. Skandalträchtigste Szene: Im Rahmen eines hippieesken Tanzes um einen großen Plastikkopf wird dessen Inneres gefüllt mit einer Mischung aus 1 Eigelb, 1 Fläschchen Pikkolosekt, 1 Schamhaar (live abgeschnibbelt) und 1 Schuss Urin (ebenfalls live produziert). Und, ja, die beiden Männer sind meistens nackt, mal unterm Lack-Mini, mal unterm Priestergewand und mal gar nicht verdeckt, in einer Szene kommt noch eine nackte Frau hinzu.
Provokation, na klar, sagen Schröppel/Karau – aber nicht als Selbstzweck. Zunächst mal ganz theoretisch: Es sei Grundprinzip jeder Art von Kunst, Kommunikation herauszufordern, Reaktionen zu erzeugen, Auseinandersetzungen zu provozieren. Aber an 08/15-Reaktonen wie “Buh” und demonstrativem Rausgehen sei ihnen nicht gelegen: Das sei auch “ein Generationending”, meint Karau, vor allem ältere Menschen wüssten ihrem Unmut und ihrer Verunsicherung oft nicht anders Luft zu machen, fühlten sich überfordert. “Wenn wir wollten, dass die Leute raus rennen – das könnten wir besser!”, beteuert er. Schröppel fügt hinzu, etliche Zuschauer lehnten den Zwang ab, selbst Stellung zu beziehen, sich mit dem Vorgebrachten auseinanderzusetzen: “Wir lösen die Forderung von Schillers Don Carlos ein – wir geben fünfzigfach Gedankenfreiheit.” Ein Teil der Leserbriefschreiber aber gehe mit dieser Freiheit “faschistisch an das Stück ran” – Schröppel meint damit die Forderung nach Ge- und Verboten auf dem Theater und “die Unfähigkeit, mit dieser Freiheit umzugehen.”
Es gibt zum Glück auch andere Zuschauer. Immer wieder hören die beiden den Kommentar, man müsse sich das Stück eigentlich zwei- oder dreimal ansehen, um mehr davon zu verstehen. Und dass nach den Vorstellungen eifrig diskutiert wird, hat auch Oliver Brunner festgestellt. Er stellt den Abenden kurze Einführungen voran, in denen er vor allem appelliert, man solle offen bleiben, das Stück auf sich wirken lassen. “Allein das bewirkt schon”, so Brunner, dass die Leute viel entspannter mit der Performance umgehen: “Es ist sehr lebendig danach”.
Dass manche rausgehen, ist durchaus legitim
Ist es eine schwierige Entscheidung, an solch einem Stück mitzuarbeiten? Schauspielerin Judith Bohle sagt, sie habe schnell zugesagt: “Ich hab’ mich interessiert für diese beiden Menschen, die sich in sehr einleuchtender Weise mit vielem auseinandersetzen, was ich kenne.” Dass dabei der Matrosenaufstand von 1918 mit “veganer Permakultur” und der Sesamstraße in einen Topf gerührt wird, dass Tabus mal gebrochen, mal zur Schau gestellt werden, dass Schlingensief zitiert, bewusst schlecht geschauspielert und gleichzeitig auf sehr hohem Niveau Theatertheoretisches umgesetzt wird, dass parodiert, geäfft, gelacht, dass mit Vermittlungsweisen und Rezeptionserwartungen gespielt wird – das alles kann man griesgrämig, aber auch mit Humor hinnehmen. Manche Szenen, die man Tage später immer noch nicht enträtselt hat, mögen ja bewusst eingesetzt worden sein, um den intellektuellen Allesversteher in die Irre zu führen. Über sowas darf man sich auch ärgern, selbstverständlich. Karau findet es daher “toll”, dass manche Zuschauer gehen: “Das ist legitim. Wir wollen doch keinen Zwang ausüben, und wir wollen genau nicht, dass die Zuschauer wegen der Etikette sitzen bleiben.”
“Skandal”, “Verschwendung von Steuergeldern”, wie die Briefeschreiber meinen? Aus der entgegengesetzten Blickrichtung könnte man dies auch ungleich teureren Produktionen unterstellen, beispielsweise der Augsburger Verdi-Premiere am vergangene Samstag. Eine völlig abstruse Handlung, garniert mit reichlich veralteter Musik, die die Kitschgrenze bisweilen mühelos überspringt – Kritiker könnten nicht ganz grundlos argumentieren: Ein überkommenen Traditionsdenken führe dazu, dass das Theater für “solchen Quatsch” Unsummen zum Fenster rauswerfe. Karau/Schröppel tun das nicht. Sie argumentieren mit einer erstaunlich integeren, aufrichtigen Ernsthaftigkeit für ihr Theater der schrankenlosen Freiheit. Das muss nicht, kann aber gefallen. Skandale jedenfalls finden anderswo statt.
Plastikschädel und Gummipenisse
Am Donnerstag, den 3. Oktober feierte die freie Performancegruppe SKART mit »Mein Freund der Baum« auf der brechtbühne Premiere und hat dabei sicherlich niemanden gelangweilt.
Das Rezept für einen Götzen: Ein wenig Sekt, ein Ei, eine Strähne Schamhaar, Spucke von allen anwesenden und - ganz wichtig - frisch abgelassenes Urin. Das Ganze wird dann in einem übergroßen, leuchtenden und durchsichtigen Plastikschädel durchgeschüttelt und über dem Publikum aufgehängt. Die Skurrilität solcher Momente war keine Seltenheit bei der Premiere von »Mein Freund der Baum«, einer Kooperation der freien Gruppe SKART und des Stadttheaters. Dass diese Art des Performancetheaters natürlich nicht jedem schmeckt, einige nur amüsiert und andere wahrhaftig schockiert, konnte man leider an dem etwas dünnen Applaus am Ende der Vorstellung feststellen. Allerdings zeigt SKART nicht einfach nur Penisse oder schleudert aufblasbare Nachbildungen derselben mit einem selbstgebastelten Katapult ins Publikum. Die Klammer des Abends war das Themenfeld »Protest«, das als Ausgangspunkt für die Performance gilt. So collagieren sie Audio-, Videomaterial und Fremdtexte von Erich Honecker über Valerie Solanas und Angela Davis bis hin zu Oskar Maria Graf mit ihrer performativen Darstellung. Auch wenn sicherlich die Bildgewalt und Reizüberflutung primär im Vordergrund des Abends steht, so scheinen die geschaffenen Bezüge und Querverweise dieses achronologischen Rundgangs durch die Protestgeschichte durchaus ein Gefühl für das Themengebiet zu vermitteln. Denn die gesamte Performance spielt mit Annahme und Ablehnung, zwingt den Zuschauer sich zu positionieren und hat am Ende sicherlich niemanden gleichgültig gelassen.
Protestkeule im Dauereinsatz
Eine knallbunte und brachial komische Retrospektive der Protestkultur vergangener Jahrzehnte ist die Performance Mein Freund der Baum, präsentiert wird sie von der Gießener Gruppe SKART, angeführt von Philipp Karau und Mark Schröppel, flankiert von Augsburger Schauspielern (Judith Bohle, Lea Sophie Salfeld, Sebastian Baumgart). Der Titel erinnert an bundesdeutsche Schlagerseligkeit - ist aber zugleich Ausdruck des aktuellen Protests gegen die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts.
Die über einstündige provozierende Collage mit Reminiszenzen an die Münchner Räterepublik, die Black-Panther-Bewegung, die ausgebeuteten Amazonas Indianer und vieles andere mehr, gräbt längst vergessene Stilmittel aus und präsentiert sie in neuem Licht der Öffentlichkeit: die altehrwürdigen Happenings der späten Sechzigerjahre zum Beispiel oder die aggressiven Eskapaden von Jérôme Savarys Le Grand Magic Circus, mit dem er in den siebzigern auch hierzulande das Publikum schockierte. Comic-Helden, lasziv gewandete Nonnen, eine ganze Fraktion der Heilsarmee und eine gesichtslose Papst-Marionette tummeln sich vor einer in allen Farben brüllenden Videowand, zugedröhnt von einer wummernden Bassgitarre und umstellt von „Kampfmaschinen“ (so das Programmheft), darunter ein mittelalterliches Katapult, mit dem man überdimensionale Gummi-Penisse und andere Leckereien ins mehr oder weniger amüsierte Publikum schleudert.
Dazwischen wenig leichtfüßiger Witz, viel plakativ zur Schau gestellte Nacktheit, viel papierene Rhetorik aus dem Politologie-Oberseminar, ein gerüttelt Maß an Nonsens-Ulk aus dem Studententheater und zum guten Schluss noch ein entfesseltes Ringelreihen-Gehopse aus der apokalyptischen Phase eines Kindergeburtstages: alles nicht so ganz brandneu.
Gefehlt hat lediglich das Eingreifen der Polizei wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, weil erst dann die große Sehnsucht aller Avantgarde erfüllt worden wäre: der Übergang von Kunst in Leben. So aber bleibt neben dem verdienten Respekt für ein Ensemble, das an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit geht, nur höflicher Beifall des Establishments.
(Hanspeter Plocher, Bayerische Staatszeitung, Oktober 2013)